: Im Wald der Cypherpunks
Krankendaten verwalten, Internet der Dinge organisieren, einen Bonsai gießen. In der Ausstellung „Proof of Work“ im Schinkel Pavillon arbeiten sich Künstler an der Netztechnologie Blockchain ab
Von Tilman Baumgärtel
Die Bitcoin-Euphorie des vergangenen Jahrs ist vorbei und hat sich im Nachhinein als Resultat einer gezielten Marktmanipulation durch eine kleine Gruppe von Spekulanten erwiesen. Seither verharrt der Preis der digitalen Währung auf einem relativ stabilen Niveau. Auch andere Cyberwährungen erreichen keine Rekordkurse mehr. Dafür wird jetzt umso stärker die technische Grundlage aller Kryptowährungen gehypt: die Blockchain, eine Art virtuelles Kassenbuch, in dem Transaktionen aller Art registriert und verifiziert werden können.
Wenn man den Predigern dieser neuen Technologie glaubt, dann ist sie in der Lage, komplizierte bürokratische Prozesse in Zukunft einfacher und transparenter zu managen: Krankendaten verwalten! Steuern berechnen! Immobiliengeschäfte registrieren! Das Internet der Dinge organisieren! Raubkopien und Fälschungen verhindern! Einen Bonsai gießen! Echt jetzt, kein Witz!
Das mit Hilfe von kompliziertesten kryptografischen Berechnungen umsorgte Bonsaibäumchen findet sich in der Ausstellung „Proof of Work“ im Keller des Schinkel Pavillons. In der einstigen Edelkneipe für die DDR-Elite hinter der Staatsoper sind in der Gruppenausstellung Arbeiten versammelt, die sich mit der Blockchain-Technologie beschäftigen. („Proof of Work“ heißt der Prozess, in dem Digitalwährungen wie Bitcoin oder Ether „gefördert“ werden.)
Kuratiert wurde die Ausstellung von dem neuseeländischen Künstler Simon Denny „im Dialog“ mit anderen Künstlern und Kuratoren. Denny, der in Berlin lebt, knüpft hier an eigene Arbeiten zur virtuellen Wertschöpfung an, zum Beispiel „Blockchain Visionaries“, die bei der vorletzten Berlin Biennale zu sehen war.
Eine der Arbeiten in der Ausstellung ist ebenjener 24 Jahre alte Premna-Bonsai, dessen Bild zusammen mit Informationen über die Feuchtigkeit der Erde in seinem Blumentopf, über seinen Lichtbedarf und den Zustand seines Servers ins Netz gestreamt wird. Wer mit der Kryptowährung Ether eine Spende an die Pflanze macht, trägt dazu bei, das Gewächs am Leben zu erhalten.
Die Künstlergruppe terra0 hat damit – wahrscheinlich ohne es zu wissen – eine Neuauflage vom „Telegarden“ von Ken Goldberg geschaffen, einem Klassiker der Netzkunst der neunziger Jahre. Ob die Arbeit auch eine Kritik an den hochfliegenden Zukunftshoffnungen sein soll, die mit der Blockchain verbunden sind, ist weniger klar: Die Künstler wollen einen ganzen Wald kaufen, der sich dann mithilfe von Blockchain, Smart Contracts, Drohnen und Robotern ohne menschliche Teilnahme kybernetisch selbst verwalten soll.
Damit verweist die Arbeit auf die ideologischen Wurzeln der Kryptowährungen, die in den neunziger Jahren von Internetanarchisten und Cypherpunks erdacht wurden, um Bezahlung jenseits der Kontrolle von Nationalstaaten, Banken und Finanzamt möglich zu machen. Im größeren historischen Rahmen betrachtet, setzt dieses Vorhaben Wunschvorstellungen von individueller Autonomie fort, die in der kalifornischen Hippie-Kultur der 60er Jahre zu alternativen Wohn- und Lebensformen führten. Auch damals wurde der Technologie schon eine wichtige Rolle bei der Selbstbefreiung zugeschrieben. In der Ausstellung verweist unter anderem ein aufblasbares Zelt von FOAM, das an die mobilen Behausungen eines Buckminster Fuller erinnert, auf solche Zusammenhänge.
Seit 2008 ein Anonymus mit dem Tarnnamen Satoshi Nakamoto Bitcoin, die erste in größerem Stil erfolgreiche Kryptowährung, schuf, hat dies auch neoliberale Blütenträume von einem Markt, in dem traditionelle Institutionen nichts mehr zu melden haben, beflügelt. Ein Wald, der sich selbst verwaltet, führt solche Vorstellungen wahlweise ad absurdum oder zu einer weiteren, surrealen Konsequenz. Einen verspielteren Kommentar auf das Geld, das sich in körperlosen, digitalen Gegenwert auflöst, liefert die „Chaos Machine“ von Distributed Gallery, die Geldscheine verbrennt und in eine eigene Kryptowährung verwandelt – von der nur noch ein Stück Thermopapier mit einem Barcode bliebt, das zu Musikbegleitung aus dem Gerät kommt.
Pragmatischer geht der holländische Künstler Harm van den Dorpel mit dem Phänomen des immateriellen Geldes um: In seiner „left gallery“ kann man für kleine Summen digitale Multiples kaufen. Die Blockchain garantiert die Echtheit dieser Werke. Wie auch der selbstgenerierte „Token“ von Jonas Lund, der es seinen Besitzern irgendwann erlauben soll, auf dessen künstlerisches Werk Einfluss zu nehmen, verweist die Arbeit auf die vielen Versuche von Künstlern, eigene Ökonomien aufzubauen, um unabhängig vom Kunstmarkt und seinen Mittelsmännern und Profiteuren Geld für ihre Produktion aufzutreiben. Die diversen „Kunstaktien“, mit denen zum Beispiel Minus Delta t ihr „Bangkok Projekt“ oder Joseph Beuys seine 7.000 Eichen in Kassel finanzierten, waren Vorgänger solcher Ansätze, die allerdings ohne komplizierte kryptografische Technik auskamen.
Die kleine Ausstellung packt viel Stoff zum Nachdenken in eine überschaubare Präsentation. Wie bei der Blockchain selbst herrscht allerdings auch hier ein Abstraktionsgrad vor, der den Zugang zu den Arbeiten zu einer Herausforderung macht und oft wenig mehr als Diagramme und Infografiken als materielles ästhetisches Resultat hervorbringt.
Die können dann im konzeptuellen Ergebnis auch eher schlicht sein: Die Entscheidung über ein Logo für einen Online-Kunstverein, über das man bei der Internetplattform Slack abstimmen kann, setzt zwar auf anspruchsvolle Blockchain-Technik. Aber letztlich ist das dann doch nur eine Form des allgegenwärtigen „Votens“ und „Likens“ von vier visuell unspektakulären typografischen Symbolen.
Bis 21. Dezember im Schinkel Pavillon, Oberwallstraße 1, Mitte
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