: Einstürzende Altbauten und prügelnde Polizisten
Seit Wochen protestieren Studenten in Kolumbien gegen die chronische Unterfinanzierung öffentlicher Hochschulen. Die Regierung reagiert mit Polizeigewalt – und einem Gesprächsangebot
Aus Bogotá Stephan Kroener
Immerhin reden sie miteinander: Die Studenten der 32 öffentlichen Universitäten, die mit ihren Protesten seit über einem Monat die kolumbianische Hauptstadt Bogotá und viele weitere Städte des Landes in Atem halten. Und Bildungsministerin María Victoria Angulo, die bisher lieber schwerbewaffnete Polizisten auf die Straße schickte, um die Blockaden mit Gewalt aufzulösen, anstatt auf die Forderungen der Demonstranten einzugehen. Ob sich das nun, nach der jüngsten Repression bei dem Marsch am vergangenem Donnerstag ändert, ist fraglich.
Denn die Studenten haben bisher – im Gegensatz zu den Uni-Rektoren – keinen Deal mit der Regierung des konservativen Präsidenten Iván Duque schließen können. 158 Millionen US-Dollar zusätzliche Mittel fordern sie allein für das im Januar beginnende Semester; das gerade zu Ende gehende wurde aufgrund des seit Oktober anhaltenden Streiks der Studenten gestrichen. Eine Forderung, der Duque bereits eine Absage erteilte. Er wolle erst mit den Studenten sprechen, wenn diese den Streik beendet hätten. Die Studenten hingegen beharren auf ihren Forderungen.
Zwölf Stunden lang rangen die Kontrahenten am Montag nun im Bildungsministerium – und gingen ohne Lösung auseinander. Am Dienstag gingen die Gespräche zwar weiter. Die Studenten haben aber weitere Proteste angekündigt.
Auf 4,7 Milliarden US-Dollar sei das Defizit der Hochschulen angewachsen, klagt Studentenführer Julián Báez von der landesweiten Hochschulvereinigung Unes. Seit mehr als 20 Jahren, so Báez, sei der Bildungsetat nicht mehr angeglichen worden: „1992 wurde das Gesetz Nr. 30 beschlossen, dieses fror den Haushaltsplan für die Universitäten quasi ein. Doch wir sind nicht mehr in den 90ern, die Studierendenzahlen sind um 250 Prozent gestiegen.“ Ende Oktober versicherte die Regierung zwar, dass die Hochschulen umgerechnet 1,1 Milliarden US-Dollar für die nächsten vier Jahre gestaffelt erhalten würden – die Studenten fordern diese Summe aber pro Jahr. Duque beschwört die Protestierenden, dass er nicht ihr Feind sei und verspricht, „den größten Bildungsbudget zu schaffen“, den Kolumbien je gehabt habe.
Dabei richtet sich der Protest nicht allein gegen die Unterfinanzierung der kolumbianischen Hochschulen – sondern auch gegen staatliche Förderung teurer Privatunis. Die Stipendienprogramme kommen zwar vielen ärmeren Kolumbianern zugute, allerdings steigen dadurch die Semestergebühren in für viele unerreichbare Höhen. Ein Medizinstudium kostet an der bekannten Universität Los Andes knapp 8.000 US-Dollar pro Semester, ein Journalismusstudium immerhin noch 5.000 US-Dollar. Die Folge: Studenten der Mittelschicht verschulden sich – und der Ruf der Unis bröckelt wie so manche Fassade. Die Fakultät für Architektur in Bogotá etwa musste gerade wegen Einsturzgefahr abgerissen werden. Für ein neues Gebäude fehlt das Geld. Auch die Räume für Kunst- und Filmstudenten sind derzeit geschlossen.
Doch all dies, kritisieren die Studenten, werde in den kolumbianischen Medien wenig diskutiert. Angie Delgado, Studentin an der Nationaluniversität, lässt sich aber dennoch nicht den Humor nehmen. Sie scherzt, dass der verfallende Campus ihrer Universität auch den Ruf des Präsidenten mit zu Boden ziehen wird. Bisher hat der junge Präsident mehr als 26 Prozentpunkte in der Beliebtheitsskala eingebüßt – der bisher massivste Absturz eines kolumbianischen Präsidenten in seinen ersten hundert Tagen im Amt. Dieser hat sicher auch andere Gründe, wie vor allem die Anhebung der Mehrwertsteuer auf Grundnahrungsmittel.
Sollten die Proteste aber weitergehen, die viele Berufspendler stark beeinträchtigen und Staus in Bogotá verursachen, die schon an normalen Tagen immer am Rand des Verkehrsinfarkts verlaufen, könnte diese Kurve auch noch stärker abfallen. Zumal die kolumbianischen Medien die gewalttätigen Ausschreitungen und täglichen Auswirkungen für Pendler skandalisieren. Die Studenten und ihre Proteste sehen sich an den Pranger gestellt – und von der Regierung zu Unrecht kriminalisiert.
Paulina Andrea Farfán, wie Báez Sprecherin der Proteste, gibt zwar zu, dass Studenten auf Aggressionen reagieren und Gewalt ausüben. „Spontane“ Molotowcocktails und kleinere Sprengsätze würden auch von studentischer Seite angewendet, um ihre Forderung zu untermauern. Mehrere Polizisten wurden dabei verletzt. Allerdings distanziert sich die Sprecherin der Unes konsequent von diesen Gewaltauswüchsen.
Angie Delgado, Studentin
Farfán erhebt ihrerseits aber auch schwere Vorwürfe gegen die Polizei: Die staatlichen Sicherheitskräfte hätten „friedliche Protestmärsche“ angegriffen. Vor allem Zivilpolizisten, die die Demonstrationszüge unterwandern, bereiten der Studentin Sorgen. „Sie mischen sich unter uns und attackieren ihre eigenen Kollegen, damit diese sich dann berechtigt fühlen, reagieren zu können. Wir konnten beobachten, wie sich diese staatlichen Steinewerfer dann auf Polizeimotorrädern davonmachten.“ Ob das stimmt, ist schwer nachzuprüfen.
Fakt ist, dass die Regierung die schwer bewaffnete und wenig zimperliche Antiaufstandseinheit ESMAD auf die Demonstranten los ließ und es viele Verletzte unter ihnen gab. Außerdem wurden bei den Protesten in den letzten Wochen bereits über hundert Studenten festgenommen. Die meisten wurden zwar nach 24 Stunden wieder freigelassen, in der Studentenschaft geht aber die Angst vor einer weitergehenden Kriminalisierung der Proteste um. Ihr Kommilitone Báez nennt auch mehrere Drohungen gegen Studentenführer vor allem in kleineren Städten. Drohungen, die man in Kolumbien leider sehr ernst nehmen muss.
Die Gewalt gegen zivilgesellschaftlich oder politisch Engagierte hat in Kolumbien eine traurige Tradition. Nach offiziellen Angaben der Ombudsstelle für Menschenrechte wurden seit Anfang 2016 bis Ende August 2018 über 340 Menschenrechtsverteidiger ermordet.
Die drohende Gewalt scheint aber den Großteil der Studenten nicht von weiteren Protesten abzubringen. Für Ende des Monats ist eine Großdemonstration zusammen mit Gewerkschaften und anderen gesellschaftlichen Gruppen geplant, die das gesamte Land lahmlegen sollen. An eine Einigung mit der Regierung scheint niemand recht zu glauben.
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