Manche mögen’s eis

Mit einer Ausstellung des Dokumentarfilmers Luc Jacquet lädt das Bremer Überseemuseum zu einer bezaubernden Expedition in die Antarktis

Geht es noch niedlicher? Weddelrobbe Foto: Laurent Ballesta

Von Benno Schirrmeister

Staunen, das schon, staunen und bewundern. Richtig viel zu lernen gibt es aber nicht in der Ausstellung „Antarctica“, die das Überseemuseum Bremen derzeit zu Gast hat, außer vielleicht, dass Pinguine ihren Puls schrittweise von 210 Schlägen pro Minute an Land auf 50 bis 80 kurz vorm Tauchgang und schließlich bloß noch zwei reduzieren, wenn sie unter der Eiskruste durchs unterkühlte Wasser gleiten. Das ist allerdings kein Manko: Man kann schließlich auch mal ins Museum gehen, um sich unbelehrt beeindrucken zu lassen.

Dokumentar-Filmregisseur Luc Jacquet, der die Schau fürs Lyoner Musée des Confluences konzipiert und durch eine eigene Expedition ermöglicht hat, will mit ihr die Naturschönheit des menschenleeren Kontinents feiern und mitteilen. Ein Riesenerfolg war die Ausstellung in Frankreich, mit mehr als 360.000 Besucher*innen eine der publikumsträchtigsten des Jahres. Und eine der bildmachtigsten: „Als ich die Homepage des Musée des Confluences aufrief, hatte ich plötzlich einen Pinguin vor Augen“, sagt Übersee-Direktorin Wiebke Ahrndt.

Das sei für sie der Auslöser gewesen, die Ausstellung nach Bremen zu holen, erweitert um einen Raum zur Arbeit des Alfred-Wegener-Instituts (AWI), denn „in Bremen eine Ausstellung zur Antarktis zu machen, ohne Beteiligung des AWI, das wäre …“ was auch immer. Jedenfalls nicht klug.

Lange vor seiner Entdeckung führte der südliche Kontinent eine fantasmatische Existenz – etwa als wegen seiner Unzugänglichkeit möglicher realer Standort des Garten Eden. Auch wenn der Titel sie zu verheißen scheint, hat Jacquet auf diese kulturhistorische Dimension komplett verzichtet – was paradoxerweise dazu führt, dass er mit opulenter Optik gerade an die Vorstellung von der paradiesischen Schönheit einer menschenleeren Welt anknüpft.

Auf etwa vier Meter hohe Wände werden, mitunter durch geschwärzte Sperrholzwände mit Gucklöchern auf unterschiedlicher Höhe verblendet, Bewegtbilder von Tauchgängen projiziert. Die Farben des Wassers reichen von Gelblich-grün ins Schwarzblau. Pinguine gleiten durchs Bild. Eher erinnert es an eine Videokunst-Installation von Diana Thater als an eine herkömmliche Naturkunde-Ausstellung.

Die Scheinwerfer treffen auf bizarr geformte Grundlebewesen, von denen sich nicht sagen lässt, ob sie Tier sind, Pflanze oder Pilz und enthüllen ihre verschwenderische Farbigkeit. Es gibt feingliedrige Spinnen, und dann und wann den grauen Umriss eines Seeelefanten. Dort, unter Wasser, sind O-Töne nicht möglich, aber Geräusche unabdingbar für den Eindruck des Realen. Wie im Film durch sorgsam synchronisierte Geräusche gestärkt, mitunter auch – leider – in Wellness-Musik gehüllt, als müsste noch unterstrichen werden, dass Jacquet zunächst einmal an die Gefühle appelliert und die Empfindungen.

Das hemmungslose Romantisieren war schon zugleich Stärke und Schwäche seines 2006 Oscar-gekrönten Films „Die Reise der Pinguine“ gewesen: Letztlich dürfte es den Anknüpfungspunkt für die durchgeknallten Frömmler der USA geschaffen haben, in dem Streifen einen schlagenden Beweis gegen Darwin und für die Gottgegebheit heterosexueller Monogamie zu erkennen: „The penguins’way of life has illustrated to me some aspects of how God is parenting us“, zitierte seinerzeit The Guardian einen Aufruf zur Nachfolge Pingus aus dem Christian ­Science Monitor.

Jacquet, studierter Biologe und selbstverständlich Darwinist, war schockiert, und möglicherweise hat das zur Revision seines Ansatzes von damals beigetragen: Wie für seinen Welterfolg ist er mit seinem Team wieder auf die Pétrel-Insel vor Adéliland gereist, in die Ostantarktis, zur französischen Forschungsstation Dumont-d’Urville. Anders aber als damals geht es in der Ausstellung auf spektakuläre Weise unter das Eis, ins Wasser.

Entstanden sind dabei Aufnahmen, die vor 14 Jahren technisch noch überhaupt nicht möglich gewesen wären und die als wertvoll für die naturwissenschaftliche Annäherung an die submarine Artenvielfalt der Antarktis gelten: 120 Meter tief war Taucher Laurent Ballesta mit der Kamera gekommen, so tief unten hat dort noch niemand gefilmt.

Auch anders als bei der „Reise der Pinguine“ verzichtet Jacquet auf allen fiktionalen Kitsch und die Zuweisung von Haupt- und Nebenrollen. Stattdessen beschränkt er sich darauf, das Abenteuer eines Tauchgangs mit eigenen Augen erleben zu lassen, der mit dem sechsstündigen Anlegen des Spezialanzugs plus der Gerätschaften beginnt. Die sind nötig, um sich als Mensch wenigstens zwei Stunden lang im –2 Grad kalten Salzwasser aufhalten zu können. Doch noch was gelernt.

Werden durch opulente Optik reingeholt: Besucher*innen der Ausstellung Foto: Volker Beinhorn/ Überseemuseum

Erzählen kann man das nicht nennen: Erzählen setzt Distanz voraus. Die kassiert die Ausstellung durch die Projektionen im Dunklen nahezu vollständig. Deren Größe lässt die Besucher*innen geradezu verschmelzen mit der Pinguinkolonie: Sie sind sozusagen mitten unter ihnen. Bloß haben sie kein Gelege, und die Kälte kommt nicht so recht rüber, im Gegenteil.

Und so wird der Unterschied zum Film, den Jacquet selbst behauptet, fragwürdig: Anders als in dem seien die Besucher*innen eben nicht bloß auf eine passive Rolle beschränkt, hatte er dem Nachrichtenmagazin LExpress anvertraut: „Le spectateur est libre d’être contemplatif ou d’aller plutôt chercher la dimension scientifique.“ Der Zuschauer ist frei, sich kontemplativ zu verhalten oder die wissenschaftliche Dimension zu ergründen.

Wahrscheinlich ist das mehr ein frommer Wunsch, wenn nicht gar ein Alibi: Die Bilder und ihre Inszenierung setzen bewusst und sehr erfolgreich auf Überwältigung. Von der Bedrohtheit dieses Lebensraums verraten sie wenig. Die Infotexte werden, wenn auch entzückend filigran layoutet, komplett marginalisiert und sind zudem wegen der Dunkelheit in Blau-Weiß-Rot auf Schwarz nur eingeschränkt lesbar.

Dafür hat das Überseemuseum statt den ästhetisierenden Originalkatalog zu übersetzen, einfach sein neues Jahrbuch als Begleitband konzipiert: Hauptsächlich von AWI-Wissenschaftler*innen in lesbare, aber nicht unspröde Aufsätze gebrachtes Faktenwissen, das tut am Ende richtig gut, nach diesem wohlig-warmen Bad im Eismeer.

„Antarctica“, Überseemuseum, Bremen, bis 28. April 2019

Eisfest am 24. November mit Kurzvorträgen, Infoständen und VR-Brille, 13–21 Uhr

Begleitband zur Ausstellung: Michaela Grein (Hg.): Antarktis, 176 S., 15,80 Euro