: Hypefernes Familientreffen
Nach fünfjähriger Pause ist das vor 18 Jahren gegründete Puschenfest zurück. Das Festival der Berliner Agentur präsentiert mit seiner Auswahl an Gästen die experimentierfreudigen Ränder dessen, was man einst Indierock nannte
Von Stephanie Grimm
Wie schön: Das Puschenfest ist zurück, nach einer fünfjährigen Pause. Die war nicht zuletzt dem Umstand geschuldet, dass 2013 der alte Festsaal Kreuzberg in der Skalitzer Straße, die einstige Heimatstätte dieses sympathischen Festivals, abgebrannt war. Jetzt ist der Festsaal – schon seit einer Weile – an anderer Stelle wiedergeboren. Und auch das Puschenfest ist zurück – zu einer anderen, vielleicht passenderen Jahreszeit als damals.
Der Sommer ist ja mittlerweile pickepackvoll mit innerstädtischen Festivals: „Der November bot sich an, weil da einige tolle, für uns interessante Künstler sowieso auf Tour sind. Die extra einzufliegen könnten wir uns schließlich nicht leisten“, erklärt Andreas Oberschelp, Chef der Booking-Agentur Puschen. Und fügt hinzu „Wir versuchen, mit dem Festival in erster Linie zu machen, was uns selbst gefällt. Viel mehr steckt da nicht dahinter.“
Diese Aussage von Oberschelp, der Puschen vor 18 Jahren gründete – mittlerweile arbeitet er mit drei regelmäßigen Mitstreitern und Freelancern –, bringt auf den Punkt, was das Bemerkenswerte an der Agentur ist. Mit Blick für die Nischen, großem Sendungsbewusstsein und zumindest gefühlt wenig Kalkül wird hier an für Konzertfans eindrücklichen Abenden gebastelt. Ein Nebeneffekt dieses Spirits ist, dass es an den beiden Festivaltagen keine Headliner geben wird, sondern die auftretenden Künstler gleichberechtigt gehandelt werden – ein grundsätzlich sympathisches, weil hypefernes Konzept, das das Festival aber schwerer vermarktbar macht. So soll es an dieser Stelle zwei besondere Empfehlungen geben – für jeden Abend eine.
Am Freitag ist das die Künstlerin U.S. Girls. Der irreführende Plural deutete an, dass es sich bei diesem Projekt um eine Band handelt – was nicht so ist, zumindest normalerweise nicht. Denn eigentlich betreibt Meg Remy U.S. Girls als eine Art Ein-Frau-Avantgarde-Pop-Revue. Diesmal allerdings wird sie mit sieben Mitstreitern auf der Bühne stehen: The Cosmic Range, einem Funk und Jazz-Kollektiv aus Toronto. Das mit den vielen Mitmusikern ergibt Sinn, denn das aktuelle Album „In a Poem Unlimited“ ist ein ziemlicher Quantensprung in Richtung Funkiness und Zugänglichkeit.
Die ersten Alben der in Illinois aufgewachsenen, inzwischen in Kanada lebenden Künstlerin, die seit 2007 unter diesem Alias Musik macht, hatten eher etwas von einem Selbstgespräch, das vor allem von der Wut über die politischen Verhältnisse angestachelt wird. Mit dem ebenfalls recht tollen Vorgänger „Half Free“ öffnete Remy sich der Zusammenarbeit mit anderen Künstlern, ohne auf inhaltlicher Ebene an Biss einzubüßen. Ihrer Musik tut diese neue Vielstimmigkeit gut. Zudem bringt sie in ihrem Pop einen immer bunteren Strauß von Einflüssen unter, von Glam zu Surf Rock zu Disco. Man kann den Ärger über die Machtverhältnisse dank und mit ihr zumindest ein bisschen wegtanzen.
Tanzen ist auch das zentrale Thema des Schweizer Neo-Krautrock-Duos Klaus Johann Grobe, bestehend aus Keyboarder und Sänger Sevi Landolt und dem ebenfalls singenden Schlagzeuger Daniel Bachmann. Eigentlich geht man ja in den Club, um das Denken wegzuschieben, mal ein wenig auf Eis zu legen. Doch die beiden wissen: So einfach ist das nicht. So heißt ihre aktuelle Single „Discogedanken“. In ihrer bewährten Bewusstseinsstrom-Manier wird da durchgekaut, was einem durch den Kopf gehen kann, wenn man sich eigentlich amüsieren will. Um das mit dem Sich-gehen-Lassen zu erleichtern, liegt der klangliche Fokus auf ihrem neuen, dem dritten Album eher in Discogefilden als beim Krautrock. Die Platte trägt übrigens den schönen Titel „Du bist so symmetrisch“ – noch so ein Gedanke, der einem auf der Tanzfläche durch den Kopf gehen könnte und vermutlich nicht unbedingt als Kompliment gemeint ist. Aber genau weiß man es nicht. Eine Auflösung gibt es nicht, kein Track des Albums heißt so. Wer sie noch nicht kennt – diese schon lakonisch und leicht schiefe Tanzcombo sollte man mal erleben. Möglich ist das am Samstagabend.
Erstmals stattgefunden hatte das Puschenfest übrigens 2010. Seinerzeit wollte man eigentlich nur den zehnten Geburtstag der Agentur feiern, die sich auf so unaufgeregte wie beharrliche Weise um das kümmert, was sich einst Indierock nannte. Heute will ja keiner mehr in dieser Schublade landen, zu sehr müffelt es da nach bräsiger Gemütlichkeit.
Aber das ist natürlich nur die halbe Wahrheit. So wie diese Agentur die Nische interpretiert, ist man gerne dabei, treiben sie doch an den experimentierfreudigen Rändern immer wieder hörenswerte Künstler auf. Beim diesjährigen Festival gibt es neben dem bereits Erwähnten: französischen Garagenrock (The Limiñanas), Lo-Fi-Herzschmerz-Twee-Pop (Girl Ray) und Avantgarde-Folk (Circiut des Yeux). Dazu Live-Karaoke mit dem The Chop x Neukölln Country Club. Und einiges mehr.
Zur Agenturgründung brachte Oberschelp seinerzeit übrigens nicht die Vorahnung, dass in Zukunft im Musikgeschäft das Geld vor allem mit Konzerten zu verdienen sei, sondern sein Fantum. 1999 wollte er seine damalige Lieblingsband Hood in seiner Heimatstadt Bielefeld sehen, die Organisation musste er in die Hand nehmen. Es wurde eine ganze Tour draus. Dass die Begeisterung für Musik ein wesentlicher Motor der Arbeit der Agentur ist, merkt man heute noch. Puschen-Konzerte haben den Charakter einer persönlichen Empfehlung.
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