: Eigentümlicher Bedarf
Eine Frau soll wegen Eigenbedarf aus ihrer Wohnung ausziehen – und weigert sich. Ein Gerichtstermin
Von Jana Lapper
Wie schwierig die rechtliche Situation ist, wenn Vermieter wegen Eigenbedarf klagen, zeigt sich am Mittwochnachmittag im Raum 0208 des Amtsgerichts Mitte. Der Fall wurde schon im Juni dieses Jahres verhandelt: Die Mieterin Anna S. sollte aus ihrer Zweizimmerwohnung im Neuköllner Schillerkiez ausziehen – die Vermieterin wollte die Wohnung als Zweitwohnsitz nutzen, um ihren Arbeitsweg zu verkürzen.
Das Amtsgericht Neukölln gab ihr damals recht, jetzt hat Anna S. Berufung eingelegt. Der Raum ist mit gut 40 Menschen besetzt: Köpfe mit Dreadlocks, ein Mann mit Gehwagen, schreiende Babys. Die Gruppe Solidarische Aktion Neukölln ist zur Unterstützung gekommen. Sprecherin Mariam Genski weist darauf hin, dass hier Leute aus unterschiedlichen Bezirken sitzen, die ebenfalls Probleme mit Eigenbedarf haben.
An diesem Tag soll der Ehemann der Vermieterin, Klaus W., plausibel darstellen, dass er und seine Frau wirklich dort wohnen werden. Er argumentiert: Ein kürzerer Arbeitsweg und mehr Zeit für Kinder und Enkelkinder würden die Lebensqualität seiner Frau verbessern. Diese wolle die Wohnung vor allem in den Wintermonaten nutzen und mit dem Rad zur Arbeit fahren. Dass eine Frau, die sich auf die Rente zu bewegt, im Winter mit dem Fahrrad fährt, bezweifelt die Richterin jedoch. Zudem sei die Wohnung viel schlechter ausgestattet als der bisherigen Wohnsitz – Altbau, unsaniert, mit Dusche in der Küche.
Außerdem könne man die Indizien nicht ignorieren, sagt die Richterin. Da gibt es zum einen die Mieterhöhung im vergangenen Jahr, gegen die sich Anna S. gewehrt hatte. Kurz darauf erhielt sie die Eigenbedarfskündigung. Zum anderen teilte die Vermieterin das Haus zuvor durch einen Grundbucheintrag in Eigentumswohnungen auf – eine Voraussetzung, um die Wohnungen einzeln verkaufen zu können. Das alles deutet eher auf Profitmaximierung als auf tatsächlichen Bedarf hin.
Anna S. schweigt währenddessen. Später erklärt sie, dass sie derzeit an ihrer Masterarbeit schreibt. „Ich bin gestresst wegen meiner Wohnsituation und kann mich nicht konzentrieren“, sagt sie. Sie müsste bis Ende des Monats ausziehen.
„Eigenbedarf ist schwierig“, stöhnt die Richterin. Sie werde nun erst mal „in sich gehen“. Das Urteil oder der Termin der Verkündigung soll in den nächsten Tagen per Post kommen.
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