piwik no script img

NRW will Brieftauben als Kulturerbe

Tierschützer warnen von Quälerei der Vögel und erhöhten Taubenpopulationen in Städten

Von Andrew Müller

Ein weißer Girrvogel mit Friedensbotschaft im Schnabel – das ist das romantische Bild von Brieftauben. Das Land Nordrhein-Westfalen will dieses Bild bewahren und beantragte kürzlich bei der Unesco die Aufnahme des Brieftaubenwesens in das bundesweite Verzeichnis des immateriellen Kulturerbes. Auf Landesebene ist das bereits verankert. Bei einem Erfolg bei der Unesco könnte der Taubensport sogar irgendwann Weltkulturerbe werden.

Der Deutsche Tierschutzbund ist alarmiert. Er hat sich mit einem Schreiben an die Unesco gewandt, weil er die Verherrlichung von Tierquälerei fürchtet. „Unzählige Brieftauben werden für Wettkämpfe ausgebeutet und dabei verletzt oder gar getötet. Es darf nicht sein, dass solche tierschutzwidrigen Praktiken durch eine Anerkennung als immaterielles Kulturerbe auch noch gefördert werden“, sagt Denise Ade, Artenschutzreferentin der Organisation.

Brieftauben waren früher unerlässlich, um Friedensbotschaften zu übermitteln – aber auch um Kriege zu organisieren. In Zeiten von Mobilfunk und Internet wirkt die Praxis eher archaisch. Im Ruhrgebiet sind Wettbewerbe mit den Tieren jedoch bis heute ein beliebtes Hobby, das gern als „Rennsport des kleinen Mannes“ bezeichnet wird.

Auch gegen diese volkstümliche Idealisierung argumentieren Tierschützer entschieden. Jedes Jahr kommt es bei Wettkämpfen zum Verlust von Hunderttausenden Brieftauben. Sie müssen bei Preisflügen teilweise über tausend Kilometer zurücklegen – das bringt die Tiere an ihre Leistungsgrenzen. Unterwegs sind die Tauben durch Fressfeinde, Windräder, Strommasten und extremes Wetter zusätzlichen Gefahren ausgesetzt. Viele verenden, andere verirren sich und landen beispielsweise im Tierheim. Selbst wenn Tauben zu ihrem Schlag zurückfinden, droht vielen ein böses Ende. Sind sie nämlich zu erschöpft und damit „nutzlos“, würden sie teilweise von den eigenen Züchtern getötet, meldet der Tierschutzbund.

Dabei haben Tauben es ohnehin schwer genug. Gerade in Städten sind sie als „Ratten der Lüfte“ verschrien. Zu Unrecht, wie der Verband mit seiner Stadttauben-Kampagne #RespektTaube betont. Die Tierschützer appellieren an Städte, Gemeinden und die Öffentlichkeit, den Vögeln respektvoll und tierschutzgerecht zu begegnen.

Den Brieftaubensport zu fördern könne das Taubenproblem auch insgesamt anheizen, argumentiert der Tierschutzbund in Richtung Unesco. Denn viele der bei Wettkämpfen verirrten Tiere schließen sich den großen Taubenpopulationen in den Städten an. „Im Kampf für eine tierschutzgerechte Reduktion der Stadttaubenpopulation ist ein so verursachter Populationsanstieg natürlich kontraproduktiv“, so Ade. Ob derartige Argumentationsketten die Entscheidung des Unesco-Expertenkomitees beeinflussen, bleibt abzuwarten. Erst im Frühjahr 2019 wird feststehen, ob das Brieftaubenwesen künftig als Kulturerbe Deutschlands gilt.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen