piwik no script img

In die Kamera starren,ohne zu blinzeln

Für den mitunter recht labilen Gefühlsmenschen hat Eugène Green sehr viel übrig.Das Arsenal zeigt nun das Gesamtwerk des französischen Regisseurs

Von Carolin Weidner

Die männliche Muse in den Filmen des Franzosen Eugène Green heißt Adrien Michaux. Ihm ist nicht nur wallendes, leicht gelocktes bräunliches Haar zu eigen, das sein merkwürdig grobes und doch empfindsames Gesicht auf romantische Art rahmt – Michaux besitzt auch die Fähigkeit, lange in die Kamera zu starren, ohne zu blinzeln. Das verleiht ihm eine Eindringlichkeit und Präsenz, die er in Greens Filmen gut gebrauchen kann. Denn jede Figur ist hier von Intensität, wenn nicht gar Ehrfurcht erfüllt – sogar dann, wenn sie es gar nicht darauf anlegt. Michaux in „Le Ponts des Arts“ (2004) etwa.

Da spielt er den jungen Philosophiestudenten Pascal, einen Schwermütigen, dem der Sinn fürs Studium abhandengekommen ist, der immer wieder durch die Prüfung fällt, sich daraufhin neu anmeldet und so weiter. Er liegt häufig im Bett. Was seine Freundin, ungleich ehrgeiziger, bald in die Flucht schlagen soll. Er streunt durch Paris. Geht in Bars (wo Green ihm einmal als Kellner begegnet). Er hört Musik. Besonders die Platte eines Barock-Ensembles hat es ihm angetan, auf ihr ist die Stimme einer Sängerin zu hören, die zu ihm spricht: eine transzendente Liebeserfahrung.

Ihr kommt bei Green mindestens genauso viel Relevanz zu wie einer fleischlichen. Sie sorgt für ein verdichtetes Er­leben, das Sehnen lässt die Sätze, den ganzen Gefühlsausdruck emphatisch werden. Auf jede unnötige Bewegung wird verzichtet. Die Bilder stehen still, flimmernd, und konzentrieren sich auf den Moment. Oft blickt man dann lange in die jungen Gesichter, hinter denen es tobt und über die sich nachts das Kerzenlicht legt.

Eugène Green hat spät begonnen, Filme zu machen: er war schon über fünfzig. Man sagt, er habe Philosophie unterrichtet und sei Maler gewesen. In den Siebzigern gründete er eine Theatergruppe, Théâtre de la sapience, die sich der Tradition des Barock verpflichtet fühlte. 2001 dann der erste Film – „Toutes les nuits“, natürlich mit Adrien Michaux. Es ist nicht der Film, mit dem die von Gary Vanisian zusammengestellte Reihe „Das lebende Wort“ im Kino Arsenal eröffnet, die zwischen dem 3. und 14. November das filmische Gesamtwerk Eugène Greens präsentiert (und an dessen ersten beiden Tagen Green auch zu Gast sein wird). Es ist der dritte.

Wieder ist es eine Geschichte, in der sich Liebe ohne direkten Kontakt einzustellen versteht. Über das Teilen eines bestimmten Naturells, aufgrund einer gemeinsamen Tragik. Für den mitunter recht labilen Gefühlsmenschen hat Green sehr viel übrig. Für ihn ist er der Starke. Und manchmal hat dieser Mensch nicht nur Schwierigkeiten mit den täglichen Erfordernissen, sondern gleich eine ganze gesellschaftliche Stimmung ­gegen sich. In „Toutes les nuits“, der über eine Spanne von zehn Jahren erzählt, und die Entwicklung einer Jungenfreundschaft beschreibt, gerät die Zeit um 1968 zum Albtraum für einen der beiden Männer, nämlich Jules, gespielt von Michaux.

Sein Verständnis von Poesie wird im Hörsaal der Uni sowohl vom Dozierenden als auch den politisierten Kommilitonen ins Lächerliche gezogen. Als Jules die ersten Zeilen eines Gedichts von Paul Verlaine rezitiert, und dabei in einen inbrünstigen Singsang verfällt, wird er eines grotesken Auftritts bezichtigt. Noch nie hätte der Lehrende einen so jungen, so reaktionären Menschen getroffen. Jules’ Beziehung zur Poesie ist eine nahezu sakrale, er sagt, wenn er sie liest, stiegen in ihm ähnliche Empfindungen auf wie bei einem Besuch in der Kirche.

Oft blickt man in die Gesichter junger Menschen, hinter denen es tobt

Personen wie die durch Michaux verkörperten gibt es bei Eugène Green immer wieder, sie sind der Saft, von dem andere, weltlichere Figuren hin und wieder probieren, um sich zu betanken oder ihrer eigenen Dogmen zu versichern. Manchmal führen sie auch zu großen Umkehrungen und Umstürzen innerhalb eines anderen, besonders dann, wenn jener Saft auch einmal durch sie selbst geflossen war, aber über die Jahre versiegt ist.

So wird ein Architekt in „La Sapienza“ (2014) von einem Architekturstudenten während einer gemeinsamen Reise durch Italien (auf den Spuren des Barock-Architekten Francesco Borromini) mittels der Zuversicht und Klarheit des jungen Gefährten spirituell wie intellektuell neu entfacht. Oder die Schauspielerin in „A Religiosa Portuguesa“ (2009), die in Lissabon ist, um in einer Literaturadaption eines Briefromans aus dem 17. Jahrhundert eine Nonne zu mimen und in vielleicht selbstloser Anlehnung an die eigene Rolle einem Schauspielerkollegen das gibt, wonach er sich sehnt: ein wenig Leidenschaft.

Jener Schauspieler ist abermals: Adrien Michaux. Und er starrt. Und er küsst. Mit wallenden Locken.

Kino Arsenal, bis 14. November

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen