: Beamte brauchen Abstand
Niedersachsen zahlt zu wenig
Niedersachsen habe „die Beamtenversorgung ordentlich ausgestaltet“, hatte Finanzminister Reinhold Hilbers (CDU) Ende Oktober anlässlich der mündlichen Verhandlung vorm Bundesverwaltungsgericht in Leipzig noch beteuert. Vergangenen Dienstag stellte dessen Zweiter Senat jedoch klar, dass er dieser Einschätzung nicht so ganz folgen kann.
Deshalb hat es das Verfahren ausgesetzt und, nach Artikel 100 des Grundgesetzes, dem Bundesverfassungsgericht vorgelegt. Das muss jetzt entscheiden, ob den beiden Klägern von 2005 bis 2014 zurecht das Weihnachtsgeld gekürzt wurde. Oder ob der nach Besoldungsgruppe A8 eingruppierte Vermessungshauptsekretär, der seit 2014 dank Beförderung zum Vermessungsamtsinspektor nach A9 bezahlt wird, und der Steueramtmann (A 11), der 2014 zum Steueramtsrat mit A12 aufstieg, seit 2005 verfassungswidrig schlecht entlohnt worden sind – und mit ihnen all die anderen rund 125.000 Landesbeamt*innen in ihren vielfältigen Funktionen.
Denn so ist das im Beamt*innenrecht. Es geht immer um alle. Sobald die unterste Gruppe den Anspruch auf ein bisschen mehr durchsetzt, müssen auch die Bezüge der höheren Chargen angehoben werden. Alles andere würde das Abstandsgebot verletzen und brächte so die Hierarchie des Beamt*innenapparats ins Wanken bringen, und Deutschland (hier Niedersachsen) wäre am Ende. Das darf nicht sein.
Die Wahrscheinlichkeit, dass Steuerhauptsekretär und Vermessungsamtmann (oder war es umgekehrt?) zu wenig Geld bekommen haben, ist hoch. Denn auch zur Sozialhilfe gibt es ein Abstandsgebot: Die Alimentation der Beamt*innen muss, das hat das Bundesverfassungsgericht bereits 2015 beschlossen, mindestens 15 Prozent höher liegen als die Grundsicherung, also Hartz IV plus ein pauschaler Wohngeldsatz. Die Netto-Alimentation wohlgemerkt, also das, was nach Abzug von Steuern und Sozialabgaben übrig bleibt. „Wir haben in erschreckender Weise festgestellt, dass dies in all den Jahren nicht erreicht wurde“, sagte der Vorsitzende des Zweiten Senats, Ulf Domgörgen, am Dienstag.
Tatsächlich bekommen in Niedersachsen Beamt*innen zu Beginn ihrer Laufbahn fast konkurrenzlos wenig. Vor allem die unteren Posten sind unterirdisch entlohnt: Zum Einen leistet sich das Land noch die Besoldungsgruppe A2, die bei 1.965,29 Euro brutto einsteigt: Da kann man fast sicher sein, dass es nach Steuern zu wenig ist. In Hamburg und Bremen ist dieser niedere Dienst längst abgeschafft. Mehr als die schuldengeplagten Bremer und Schleswig-Holsteiner zahlt Niedersachsen laut DGB-Besoldungsreport erst dem höheren Dienst, also ab A13 aufwärts.
Dem geht es schon jetzt gut, und später dann noch einmal besser, wenn die Erhöhung gerichtlich durchgesetzt wird. Denn die muss sich ja aufs ganze System auswirken. Prozentual. Dank Abstandsgebot.
Benno Schirrmeister
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen