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Für Intellekt und Eingeweide

Nicole Eisenmans großartige Ausstellung „Baden Baden Baden“ in der Staatlichen Kunsthalle Baden-Baden zeigt eine produktive und autodidaktische Künstlerin, die Ängste und Obsessionen verarbeitet

Fehlt nur noch, dass sie sich ein Ohr abschneiden: Nicole Eisenman, „Huddle“, 2018, Öl auf Leinwand Foto: Staatliche KunsthalleBaden-Baden

Von Katharina J. Cichosch

Durch den Baden-Badener Regen zerstiebt der Wind die Wasserfontänen. Drinnen in der Kunsthalle lässt Nicole Eisenman Wasser durch den „Kopf mit Dämon“ fließen. Im Vergleich zu den prächtigen Springbrunnen und Kaskaden vor der Tür ist dies allenfalls ein Rinnsal, das sich den Weg durch Öffnungen und Tunnel bahnt und dabei Grünspan auf die noch fast jungfräuliche Bronzehaut transportiert. Und doch entwickelt die Skulptur eine eigene Dringlichkeit. Wer die marmornen Treppenstufen zur Ausstellungshalle emporsteigt, trifft auf eine ganze Gruppe stattlicher Köpfe und Büsten. Begehrenswerte Objekte, auf eher kaputte Weise anziehend, Flickwerk-Identitäten. Aber: Hier sind wir, Sex-Appeal! Die guys nehmen die große Ausstellungshalle gut ein.

Dringlichkeit, (Über-)Forderung, diese Eindrücke gefallen der 1965 geborenen New Yorkerin. „Ich wollte keine Zeit verlieren“, erklärt sie den Anlass für ihre Materialschlacht, in der sie sich seit ein, zwei Jahren nahezu als bildhauerische Autodidaktin mit Bronzeguss und Aluminium, Styropor und Stahl beschäftigte. Als die Anfrage für die erste große Einzelausstellung in Deutschland kam, lautete ihre Bedingung: Statt der gewünschten Malerei müssten es Skulpturen sein.

Die versammelten Objekte geben einen guten Einblick in Eisenmans Arbeit: Ihr intuitives Gespür, welches Material wie funktionieren könnte. Wie sie ihre Erfahrungen als Malerin, das virtuose Spiel mit Techniken wie Stilen, in die skulpturale Arbeit transferiert. So ergeben sich Kombinationen und Effekte, die aufregend neu wirken: Die polierte Bronze des Königskopfs wird mit Ölfarbe in Türkis, Weiß und wiederum Bronze schattiert; der Aluguss des „American Goth“-Pärchens, schwarze Tränen heulend, verewigt die Schnittstellen und Strukturen seiner Styropor-Vorlage in anziehendem Silberglanz. Mehr über die ausgestellten Protagonisten erzählt der giftgrüne Katalog, ganz in Postinternet-Ästhetik gestaltet. Hier liest man unter anderem vom gepiercten Sherpson und seinen sexuellen Eskapaden, die keine mehr sind, seit er vergessen hat, was er konkret begehren kann und soll. Hannah Black schrieb den Figuren Biografieschnipsel auf den Leib, Ryan McNamara photoshoppte sie auf eine Parkbank, ins Jugendzimmer oder Yoga-Studio und machte das mythisch-albern-adoleszente Kunstbuch somit perfekt.

Obwohl Nicole Eisenman seit den Achtzigern künstlerisch aktiv und produktiv ist, erreichten ihre Arbeiten erst ein größeres Publikum, seit sie die eigene Biografie in den Schaffensprozess einbezieht. Eisenman wuchs in einem New Yorker Vorort auf, ihre Großmutter floh als Jüdin vor den Nazis in die USA. Mit ihrem Vater, einem Psychoanalytiker, besprach sie ausgiebig und regelmäßig ihre Träume. Nach dem Coming-out folgten ein zeitweiliger Bruch mit der Familie und die Neuorientierung in New York.

Wasser aus der Kniescheibe

Den Begriff queer nutzt Eisenman oft. Mit Chicks-on-Speed- Mitglied A. L. Steiner gründete sie ein Kollektiv für feministische und queere Kunst; sie schätzt Kollaboration als künstlerisches Prinzip. Dass ihre Arbeit in den letzten Jahren zunehmende Aufmerksamkeit genoss, zeigt auch, wie ein Brooklyn-Queer-Cool irgendwann anschlussfähig ans Bildungsbürger-Kunstpublikum wurde. In Deutschland kennen viele ihren Namen vor allem von den Skulpturenprojekten Münster: Die Brunnenanlage mit geschlechtslosen Bronze- und Gipsfiguren, denen Wasser aus Kniescheibe und anderen Körperöffnungen strömte, geriet vor allem wegen mehrfachen Vandalismus in die Schlag­zeilen.

Giftgrünes Selbstporträt

Neben den Skulpturen sowie aktuellen und früheren Malereien, darunter eine Art potenzielles Selbstporträt auf giftgrünem Grund vor der Häuserkulisse ihres Heimatortes, zeigt die Schau unter anderem eine Reminiszenz an das berühmte Gemälde „Ursprung der Welt“ von Gustave Courbet, den Eisenman sehr schätzt, und auch Duchamps „Étant donnés“: durchs Peephole der Blick auf die schummrig beleuchtete Szene einer masturbierenden Frau, in Holz geritzt. Symbol und Akt der Selbstermächtigung gehen hier kongruent. Eisenmans Kunst spricht Intellekt und Eingeweide an, was sie selbst einmal so auseinanderdividierte: Bilder gingen über den Kopf, ihre Oberfläche aber sei, worüber das Werk wirklich hängen bleibe. Farbe lasiert sie dünn, strukturiert, als Modelliermasse, oft mehrfach variiert in einem Bild.

Ihre Motive wiederum, geschöpft aus persönlichem und öffentlichem Leben, Kunst- und Zeitgeschichte, wählt Eisenman selten gezielt aus. Bilder und Themen werden im Sub-Unbewussten generiert und mit dem Arbeitsprozess an die Oberfläche gespült. Dort treffen sie dann auf ihr Publikum, das manche Motive schneller und heißer goutiert als andere. Der „Huddle“, Zusammenkunft einer Traube gesichtsloser Geschäftsmänner, die auf dem schwarzen Businesstower zusammensitzt und nichts als Matsch und Dreck hinterlässt, wurde zwischenzeitlich an eine große Kulturinstitution verkauft. Plakativere Arbeiten sind nicht immer die besten, gerieren naturgemäß aber die größte Aufmerksamkeit. Dass einer der Herren auffällig an den amtierenden US-Präsidenten erinnert, dürfte dem zuträglich sein.

Aber wie kann man sich ein Bild von Donald Trump überhaupt zeitaktuell machen, das nicht zwangsläufig gegenüber der Realität abfällt? Auf die Frage, ob tagespolitische Statements künstlerisch schwierig seien, reagiert Nicole Eisenman beinahe zerknirscht: „Vielleicht hätte ich die Krawatte wirklich nicht rot malen sollen.“ Denkbar, dass der Omnipräsente sich hier also fast ungewollt reingemogelt hat. Gleichzeitig sind Obsessionen wie Ängste, die man mit allen teilt, wichtiger Bestandteil von Nicole Eisenmans Werk, das die Bilder dann auf technischer Ebene wieder elegant einzufangen weiß. Wo Privates und Politisches, Banales und Bedeutungsschweres aufeinanderstoßen, ohne sich aufzuheben, derweil die Ergebnisse ihrerseits zum großen Bilderfundus beitragen. Über den „Huddle“-Herren hängt der Himmel voller Van-Gogh-Kreise.

Für ihre erste Einzelausstellung in Deutschland hätte sie sich keinen besseren Ort wünschen können, „weitab von New York und Berlin“. Niedliche Blasenwelt, in der man sich bisweilen fehl am Platze fühlen kann, auch dies sei eine gute Erfahrung. Wenn sie nach der Eröffnung zurück nach Hause fliegt, um wählen zu gehen, hat Nicole Eisenmann Baden-Baden für einen Augenblick vielleicht gar so etwas wie sexy gemacht.

Bis 17. Februar 2019, Staatliche Kunsthalle Baden-Baden, Katalog 29,80 Euro

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