piwik no script img

70plus wählt CDU und Sozialdemokraten

Bei den Landtagswahlen verliert die SPD an Grüne – und AfD. Die FDP ist im Frankfurter Speckgürtel am stärksten, die Linkspartei in Frankfurt

Von Pascal Beucker

Selten hat eine Landtagswahl so unter bundesweiten Vorzeichen gestanden wie die am Sonntag in Hessen. Die Bundespolitik hat diesmal eine noch größere Rolle gespielt, als sie das für gewöhnlich bei Landtagswahlen in Flächenländern tut – zu Lasten der hessischen Landesverbände von CDU und SPD, deren Spitzenkandidaten Volker Bouffier und Thorsten Schäfer-Gümbel es nicht schafften, sich dem Trend wirksam entgegenzustellen.

Nicht nur der Wahlausgang selbst, mit seinen dramatischen Verlusten für die beiden in Berlin gemeinsam regierenden Parteien CDU und SPD, sondern auch die repräsentativen Befragungen von Wahlberechtigten, die die Forschungsgruppe Wahlen und Infratest dimap am Wahltag und in der Woche davor durchgeführt haben, lassen keinen Zweifel daran, dass das schlechte Erscheinungsbild der Großen Koalition entscheidend war. Entsprechend mehr oder weniger große Gewinne haben alle anderen Parteien einfahren können – egal, ob sie in Hessen mitregieren oder nicht. Die Landesebene spielte offenkundig nur eine untergeordnete Rolle für die Wahlentscheidung.

Große Gewinner sind die Grünen, die mit einem Ergebnis von 19,8 Prozent ihren Stimmenanteil mehr als verdoppeln konnte, und die AfD, die mit 13,1 Prozent erstmals in den Hessischen Landtag einzieht. Nach Infratest dimap konnten die Grünen die meisten Stimmen von den Sozialdemokraten hinzugewinnen (101.000), aber immerhin auch gut 90.000 von der CDU. Ebenso viele frühere UnionswählerInnen entschieden sich diesmal für die AfD, die auch 38.000 Ex-SPD-WählerInnen gewinnen konnte. CDU und SPD haben zudem starke Verluste an die Gruppe der NichtwählerInnen zu verkraften. Knapp 60.000 waren es bei der Union, 68.000 bei der SPD. Zur FDP wechselten knapp 40.000 CDU- und 23.000 SPD-WählerInnen. Die Linkspartei bekam von der CDU 5.000 und von der SPD 24.000 Stimmen.

Geradezu exemplarisch für den Wahlausgang ist das Ergebnis im Wahlkreis Gießen II. Hier trat der SPD-Herausforderer Thorsten Schäfer-Gümbel gegen den CDU-Ministerpräsidenten Volker Bouffier an. Es war bereits das fünfte Mal, dass die beiden um das Direktmandat konkurrierten – und eigentlich ging es aus wie immer.

Allerdings nur deshalb, weil Schäfer-Gümbel ebenfalls ein zweistelliges Minus zu verzeichnen hatte. Mit 33,8 Prozent und einem Vorsprung von 7,1 Prozentpunkten gewann Bouffier das Duell der Spitzenkandidaten, weil er gegenüber der Wahl 2013 zwar bei den Erststimmen 13,1 Prozentpunkte verloren hat, Schäfer-Gümbel jedoch ebenfalls 12,6 Prozentpunkte. Kapital schlagen aus der Schwäche der Spitzenkandidaten vor allem die Kandidaten der AfD (13,5 Prozent) und der Grünen (11,9 Prozent). Ihre besten Resultate haben die Grünen in den Großstädten erzielt, wo sie mit durchschnittlich 26 Prozent zur stärksten Partei aufgestiegen sind. Die CDU liegt hier nur noch bei 21, die SPD bei 19 Prozent. Zu den grünen Hochburgen zählen Frankfurt, Darmstadt, Kassel und Offenbach, wo auch ihre fünf Direktmandate herkommen, sowie die Landeshauptstadt Wiesbaden.

Auch die Linkspartei hat ihre Hochburgen in den größeren Städten, wo sie fast durchgängig zweistellige Ergebnisse einfahren konnte. Ihren höchsten Stimmenanteil erreichte sie mit 13,5 Prozent im Wahlkreis Frankfurt V. Die CDU bleibt zwar weiter am stärksten in Osthessen, hat jedoch gleichzeitig hier auch überproportional stark verloren. Davon profitiert hat insbesondere die AfD, die im Wahlkreis Fulda II mit 18,2 Prozent ihr bestes Einzelergebnis erzielen konnte. Mit jeweils mehr als 17 Prozent konnten die Rechtspopulisten darüber hinaus in der Wetterau, in Hersfeld und im Osten des Main-Kinzig-Kreises mit Ergebnissen über 17 Prozent reüssieren.

Trotz großer Verluste bleibt die SPD in den ländlichen Gebieten Nordhessens die stärkste Kraft. Allerdings schafft sie nur noch in einem einzigen Wahlkreis die 30-Prozent-Marke: In Kassel-Land II erhielt sie 31,4 Prozent. Die FDP schneidet am besten am Rand des Rhein-Main-Gebiets ab. Ihr Spitzenergebnis erzielt sie mit 11,7 Prozent im Wahlkreis Hochtaunus II.

Um die gesamte Dimension des Desasters der alten Volksparteien zu erfassen, ist eine Betrachtung der Altersstruktur ihrer WählerInnen hilfreich. Dass die Verluste für die beiden Parteien nicht noch höher ausfielen, verdankt sich ausschließlich der älteren Wählerschaft ab 60 Jahren aufwärts. In allen anderen Alterskohorten schnitten sie hingegen unterdurchschnittlich ab. Das heißt, sie haben ein gravierendes Demografieproblem.

Nach den Daten von Infratest dimap gab es den höchsten Zuspruch mit 42 Prozent für die CDU beziehungsweise 28 Prozent für die SPD in der Altersgruppe 70plus. Bei den 18- bis 24-Jährigen kam die CDU hingegen nur auf 17 Prozent. Auch die SPD konnte in dieser WählerInnengruppe keinen Blumentopf gewinnen, lag bei den 25- bis 34-Jährigen mit gerade mal 14 Prozent jedoch noch einen Prozentpunkt schlechter.

Zum Vergleich: Bei den WählerInnen bis 24 Jahre sind die Grünen mit 25 Prozent die mit Abstand stärkste Partei. Aber auch in den Altersklassen zwischen 25 und 59 Jahren schnitten sie mit 22 Prozent sehr gut ab. Bei den JungwählerInnen gab es überdurchschnittliche Resultate auch für die FDP (11 Prozent) und die Linkspartei (10 Prozent). Die AfD blieb bei den 18- bis 24-Jährigen hingegen mit 9 Prozent deutlich unter ihrem Gesamtergebnis. Mit 15 Prozent hat sie ihre größte AnhängerInnenschaft im mittleren Alterssegment zwischen 35 und 59 Jahren.

Besonders erfolgreich war die AfD bei ArbeiterInnen. Laut Infratest dimap sind die RechtspopulistInnen in dieser schrumpfenden sozialen Statusgruppe nun mit 23 Prozent sogar die stärkste Kraft, vor der SPD (22 Prozent) und der CDU (17 Prozent). Vor fünf Jahren kamen die beiden Parteien hier noch jeweils auf 35 Prozent. Die Grünen, die den größten Zuspruch bei Angestellten (24 Prozent) und Selbstständigen (23 Prozent) erhielten, landeten bei den MalocherInnen nur bei 11 Prozent. Auf den fünften Platz kam die Linkspartei mit 9 Prozent.

Stark unterproportional goutiert wurden die Grünen wie auch die Linkspartei von Menschen mit einem formal niedrigen Bildungsgrad. Nach den Zahlen der Forschungsgruppe Wahlen stimmten nur 9 Prozent der WählerInnen mit Hauptschulabschluss für die Grünen, 4 Prozent für die Linkspartei. Die größte Zustimmung fanden bei ihnen hingegen die CDU (32 Prozent) und die SPD (29 Prozent), die dafür – ebenso wie die AfD – bei den WählerInnen mit höherer Bildung vergleichsweise schlecht abschnitten. Hier hatten die Grünen wie auch die Linkspartei ihre Spitzenwerte. Bei den WählerInnen mit Hochschulabschluss (29 Prozent) oder Abitur (27 Prozent) waren die Grünen die mit Abstand stärkste Partei.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen