: Happy Birthday, Henning Scherf!
Am Reformationstag feiert Bremens nach wie vor beliebter Ex-Bürgermeister Henning Scherf seinen 80. Geburtstag: Seine größte Leistung war es, im Zweistädtestaat jahrelang – gestützt auf eine durchs Briefgeheimnis geschützte angebliche Zusage millionenschwerer Beihilfen von Gerhard Schröder – sehr viel Geld in zweifelhafte Großprojekte zu stecken. Zu seinem Ehrentag hat die taz im Rechercheverbund mit Russia Today, der Wolfgang Beltracchi-Stiftung und dem Konrad Kujau-Fonds für Zeitgeschichte den Kanzlerbrief, wie er hätte sein müssen, in der Teeküche des Bundesarchivs rekonstruiert
Reichtum durch Geldausgeben
Als Henning Scherf (SPD) im Jahr 1995 an der Spitze einer großen Koalition Bremer Bürgermeister wurde, war Bremen Haushaltsnotlageland, bekam aber infolge eines Urteils des Bundesverfassungsgerichts und auf Basis des Finanzausgleichsgesetzes (FAG) „Sonder-Bundesergänzungszuweisungen“ in Höhe von 8,5 Milliarden D-Mark. Das Geld wurde auf Anraten zahlreicher Finanz- und Wirtschaftswissenschaftler investiert – in prestigeträchtige Spaß-Projekte wie einen Indoor-Vergnügungspark. Die sollten neuen Reichtum in Bremens Kassen spülen und den Arbeitsmarkt ankurbeln, gingen aber meist selber pleite. Um die vom FAG geforderten Sparmaßnahmen dokumentieren zu können, wurden Lehrerstellen gestrichen und Sozialausgaben sehr scharf kontrolliert.
Der Kanzlerbrief
Die „Sonder-Bundesergänzungszuweisungen“ waren bis 2004 befristet, zudem war um 2000 absehbar, dass die große rot-grüne Steuerreform für Bremen vor allem große Einnahmeverluste bedeuten würde. Im Bundesrat waren die Mehrheitsverhältnisse so, dass Bremen sie hätte scheitern lassen können. Seine Zustimmung verkaufte Scherf den Bremer*innen dann als Ergebnis einer Vereinbarung mit Kanzler Gerhard Schröder, seinem Parteifreund. In einem Brief habe der ihm weitere Beihilfen für die Zeit nach Auslaufen der gesetzlichen Konsolidierung für Bremen fest zugesagt. Das Dokument selbst wurde nicht vorgelegt – mit Verweis auf das Briefgeheimnis. Dennoch wurde es in den Haushaltsplänen des Landes unter Einnahmen verbucht – in frei erfundener Höhe von bis zu 524 Millionen Euro.
taz lüftet das Briefgeheimnis
Statt einer Zusage über freihändige Zuwendungen in kommenden Legislaturperioden heißt es in dem Brief aus dem Kanzleramt nur, wie die taz im Februar 2005 dokumentierte: „Die Bundesregierung sagt zu, sich im Gesetzgebungsverfahren dafür einzusetzen, dass durch die Neuordnung des bundesstaatlichen Finanzausgleichs der gegebene finanzielle Status Bremens erhalten bleibt, auch im Hinblick auf die Auswirkungen der Steuerreform.“ Im Übrigen sei der Bund mit den bisherigen Sanierungshilfen bis einschließlich 2004 „seiner bundesstaatlichen Verantwortung gerecht geworden“. Mittlerweile ist der Schrieb Bestandteil der landesgeschichtlichen Sammlung des Bremer Focke-Museums. (bes)
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen