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Aus diesem Fenster schoss er auf uns

Bei einem Job während ihres Studiums musste die Filmemacherin Beatrice Minger einen täglichen Medienspiegel sämtlicher Schweizer Tages- und Lokalzeitungen zusammenstellen. Dabei fiel ihr eines Tages eine bestimmte Sorte von Bildern auf, die sie von da an samt ihren Bildlegenden sammelte. Ein Teil dieser Bilder, es sind 118 Fotos aus den Jahren 2000 bis 2016, wurde nun bei der Edition Patrick Frey als Bildband veröffentlicht. Er ist großartig. Sämtliche Bilder des Bandes zeigen eine meist am Bildrand stehende Person, die in den Bildraum zeigt, auf eine Stelle, an der sich offenbar Ungeheuerliches ereignet hat. „Hier sass er“, sagt etwa die Kellnerin mit einem schwer zu deutenden Gesichtsausdruck und deutet dabei auf einen leeren Stuhl. Sonst sind die Mienen der Abgebildeten meist sichtlich empört, anklagend, aber auch ganz klar erfreut und stolz. Komischerweise ist dort, wo hingezeigt wird, oft nichts zu sehen, was der Rede wert wäre. Die entscheidende Situation ist längst vorüber. Zeigen ist offensichtlich vor allem eine Geste der Erinnerung. Und damit eine Geste, die eine Erzählung einleitet. Auf den abgebildeten Fotos zeigt links Peter Roth auf das Einschussloch (Kreis) in seinem Auto. Dario, auf dem rechten Bild, sagt: „Aus diesem Fenster schoss er auf uns.“ Und zeigt in die Richtung, aus der das Geschoss kam. Die Geschichte erschien am 7. Juni 2007 im „Blick“. Text und Bild stammen von dem Reporter Ralph Donghi. So versammelt „Hier sass er“ Geschichten von großen und kleinen Katastrophen, unerhörten Ereignissen, tragischen Zufällen, sagenhaften Funden, aber auch von schlichten Auskünften zu einem Sachverhalt: „Grünflächenverwalter Roger Lanz zeigt auf die sanierungsbedürftigen Stufen.“ Geschichten aus der Schweiz, in einem Bild und einer Bildunterschrift, anschaulich, knapp und präzise.Beatrice Minger: „Hier sass er“. Edition Patrick Frey, Zürich 2018, 370 Seiten, 124 Farbabbildungen, 48 Euro

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