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Die NSA in Flammen

Drohnen, Bots und Fake-Profile etc.: Wie angesichts der technologisch determinierten Gegenwart handlungsfähig bleiben? Ein Rundgang durch die Ausstellung „Agency“ mit James Bridle

Von Sabine Weier

Gerade ist James Bridle in Berlin angekommen. Seit drei Jahren wohnt der Brite in Athen, in jener europäischen Stadt, in der sich das Leben derzeit vielleicht am anarchistischsten anfühlt. Fast überall auf der Welt hat der Medien­künstler und Überwachungskritiker in den vergangenen Jahren seine „Drone Shadows“ auf Straßen gesetzt – Drohnenschatten, die daran erinnern, dass Überwachung für uns meist unsichtbar, aber allgegenwärtig ist. Bei der Manifesta in Palermo ist gerade „Citizen Ex“ (2015) zu sehen. Darin befasst er sich mit der Materialität der oft als ephemer begriffenen Datenströme und visualisiert den Weg, den sie zurücklegen, wenn wir surfen.

In Berlin ist Bridle ausnahmsweise mal nicht, um eigene Arbeiten vorzustellen. In der Nome Gallery zeigt er unter dem Titel „Agency“ welche anderer KünstlerInnen. Diesen Sommer erschien im Verso-Verlag sein Buch „The New Dark Age: Technology and the End of the Future“. Darin bespricht er eine technologisch determinierte Gegenwart, in der Computer das Denken für Menschen übernehmen. „Auf immer komplexer werdende technologische, politische und soziale Systeme, die keiner mehr wirklich versteht, reagieren wir mit Angst, Entfremdung und Apathie“, sagt Bridle. Im Buch und in der Ausstellung stellt er die Frage nach agency, danach also, welche Denk- und Handlungsräume uns noch bleiben.

Eine einfache Antwort darauf hat Bridle freilich nicht parat. Aber in der Kunst fänden sich Alternativen, um dem scheinbar festgeschriebenen Narrativ der Handlungsunfähigkeit zu begegnen. „Die alten Strategien reichen nicht mehr“, sagt er. Das betreffe auch seine eigene ­Praxis. Recherchieren, Auf­decken, Sichtbar-Machen – das finde er zunehmend problematisch, denn im Grunde seien das Gesten der Macht und Kontrolle, die jene der kritisierten AkteurInnen reproduzierten. Neue Geschichten schreiben statt vorhandene umschreiben, das interessiere ihn jetzt mehr. Und dazu gehöre auch Humor.

Den wendet etwa Anna Ridler in ihrer Installation „WikiLeaks: A Love Story“ (2016) an. Auf einem langen Tisch liegen Stapel mit von der Enthüllungsplattform WikiLeaks publizierten Dokumenten aus. Die BesucherInnen scannen diese mit einer auf einem Pad installierten Augmented Reality App, decken so aber keinen Politskandal, sondern eine Liebesgeschichte auf.

Auch Constant Dullaarts Blick ist ein satirischer. Vor einigen Jahren generierte er eine Armee von Bots in Form von Fake-Profilen auf Facebook und nutzte diese für eine Reihe von Projekten. Die vielen SIM-Karten, die er dafür einsetzte, präsentiert er eingelassen in eine über­dimensionale Plastikkarte, aus der sie sich sonst einzeln herauslösen lassen. „Jede ist wie ein kleiner Sarkophag, in dem sich ein mächtiger Geist befindet“, sagt Bridle.

Ingrid Burrington entfremdet ebenfalls ein machtvolles Objekt, allerdings indem sie es zerlegt: Sie präsentiert ein iPhone als einen in eine Glaskugel gepressten Haufen schwarzen Staubs. Ein ironischer Verweis auf eine okkulte Kristallkugel und die Allmacht Apples.

Mit leuchtenden Augen packt Bridle eine gerahmte Zeichnung von Suzanne Treister (Jahrgang 1958) aus. Sie sei der Ausgangspunkt für die Schau gewesen. Die britische Künstlerin war eine der ersten, die sich seit den 1990ern mit den aufkommenden Technologien und politischen Machtapparaten auseinandersetzte. Auf 63 mal 122 Zentimetern stellt sich Treister mit Bleistift und Wasserfarbe vor, wie der Hauptsitz des US-Auslandsnachrichtendienstes NSA in Flammen steht. Der gigantische, von dunklem Glas verkleidete Quader in Fort Meade lässt unweigerlich an eine zeitgenössische Pandorabüchse denken, jenes Gefäß, das in der griechischen Mythologie alle menschlichen Übel enthielt. „Ich habe viel über die Machtpolitik der NSA geschrieben“, sagt Bridle, „aber Suzanne stellt sich einfach vor, wie das Gebäude in Flammen steht. Das ist ein radikaler Akt, der viel mit dem zu tun hat, was ich mit agency meine.“

„Die Künstlerinnen verhandeln die Themen um Technologie in radikal neuer Weise“

James Bridle

Für Arbeiten, die digitale Kultur in Objekte überführen, hat Bridle vor einigen Jahren den Begriff „The New Aesthetic“ geprägt. Moreh­shin Allahyari zeigt eine mit dem 3-D-Drucker geschaffene Skulptur: einen dreiköpfigen Dschinn mit zwei großen Brüsten aus der islamischen Mythologie. Der Dschinn ist ein Geistwesen mit einiger Intelligenz, wie jene Bots Dullaarts. Die Arbeit lässt sich aber auch zu Sophia Al-Marias „The Limerent Object“ (2016) querlesen, einer Videoarbeit, in der sie von poetischen Texten und Sounds begleitete Körperbilder und Fruchtbarkeitssymbole, wie die Venus von Willendorf, übereinanderlegt. Die Schriftstellerin und Videokünstlerin aus Katar gehört zu einer von ihr als „Gulf Futurism“ bezeichneten Bewegung, die Ölreichtum und reaktionären Islam im Spätkapitalismus und die technologische Isolierung des Individuums kritisiert.

Auch die in traditioneller islamischer Kunst und Architektur geschulte Navine G. Khan-Dossos gibt Narrativen um Macht und Technologie eine neue Form und analysiert so den zeitgenössischen Orientalismus und Islamophobie. Für die kleinen Gouachen „Cascades“ (2015) beschäftigt sie sich mit medialen Repräsentationen der Terrormiliz IS. Sie basieren auf Interviews, die sie unter anderem über Twitter mit IS-Frauen führte. In abstrakte Ornamente lässt sie etwa das Twitter-Logo, Säbel oder eine Graustufenskala ein, als Verweis auf Schwarz als ästhetischen Standard des IS, den westliche Medien reproduzieren.

Dass in Bridles Schau fast nur weibliche Positionen vertreten sind, ist bemerkenswert, denn die verhandelten Themen werden in öffentlichen Diskursen von Männern dominiert und das reproduziert sich auch in der Kunst. „Künstlerinnen wie Treister und Ridler verhandeln die Themen um Technologie in radikal neuer Weise“, sagt Bridle. Um festgeschriebene Narrative der Handlungsunfähigkeit aufzulösen, lohnt es sich also, auf weibliche Alterna­tiven zu schauen.

Nome Gallery, vom 27. Oktober bis 7. Dezember 2018

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