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Verlockendes System

Das multidisziplinäre Musikfestival 3hd findet nun schon im vierten Jahr statt. Bis zum 27. Oktober bringen die Macherinnen von „Creamcake Berlin“ queere Perspektiven aus Kunst und Musik zusammen

Relaxed: BesucherInnen im Studio I des Kunstquartiers Bethanien o: Aiko Okamotoxy Foto: Fot

Von Natalie Mayroth

Im ersten Stock des historischen Gemäuers des Kunstquartiers Bethanien wartet die Welt von 3hd. Der 600 Quadratmeter große Raum wird die Tage wie eine Galerie mit Konzeptkunst bespielt. Doch was ist anders als sonst? Der Altar der ehemaligen Kapelle wurde zur Eröffnung am Dienstagabend zum DJ-Pult erhoben. Darum herum dreht es sich um „Complex Realities“, wie die Begleitausstellung von 3hd heißt.

Dahinter steckt das Kuratorinnenteam Daniela Seitz, Anja Weigl und Tomke Braun. An fünf Tagen haben die drei über 40 interdisziplinär arbeitende KünstlerInnen zur vierten Ausgabe des Festivals eingeladen, das sich in diesem Jahr auf das Thema „System.Lure“ fokussiert. Bei den Veranstaltungen, mit denen Seitz und Weigl alias „Creamcake“ sich seit 2011 einen Namen gemacht haben, steht bekanntlich experimentelle Musik im Vordergrund. Um den Diskurs weiterzuführen, gründeten sie 2015 3hd als Plattform. Sie wollen erneut die BesucherInnen durch glatt polierte Post-Internet-Art-Ästhetik ins Politische locken. Etwas, dass ihnen bisher schon angelastet wurde, sagt Daniela Seitz. Doch sie halten daran fest.

„Identitätspolitik wird gerade extrem im Mainstream ausgeschlachtet“, sagt die künstlerische Leiterin. Deshalb zeigen sie Arbeiten, die vom Kapitalismus getriebene Systeme kritisch hinterfragen – und politisch sind, auch wenn das nicht immer auf den ersten Blick sichtbar ist. Dabei finden die Kunst- und Musikdarbietungen an verschiedenen Orten in Berlin sowie im Internet statt.

Der Einstieg zum diesjährigen 3hd war fordernd. Die an Alkoholsucht erkrankte Mutter der Künstlerin Josefin Arnell schießt mit einem Gewehr höchsterfreut in einer Videoinstallation auf Dosen, auf der anderen Seite des Flügels tanzt auf zwei Bildschirmen „Georgiana Del Pepe“ – eine Travestie-Adoption, des von amerikanischen Rechten vereinnahmten Comic-Frosches „Pepe“ halb nackt in Stilettos mit Stars-and-Stripes-Ärmeln. Realitäten, die keine heile Welt zeigen, prallen aufeinander.

Im oberen Geschoss wird hingegen idealisiert mit einer Gesangsperformance von Selin Davasse, die an die Ära des türkischen Reformers Atatürk angelehnt ist, durch medizinisch-zeichenhafte Metallkarten von Mariechen Danz oder durch die nicht in Frage gestellte fotografische Repräsentanz der Fußballerinnen von „Discover Football“, einem Verein aus geflüchteten Frauen, eingefangen von Alexa Vachon. Das anschließende Ambient-Set von Lamin Fofana, der dem afrikanischen Diasporakollektiv „NON Worldwide“ nahesteht, ließ schließlich auf Sandsäcken, die zum Liegen auf dem Boden verteilt waren, von Utopien träumen.

Den zweiten Abend dominierte das Filmprogramm kuratiert vom US-Regisseur Yoni Leyser. Neben der gleichnamigen Kollage „#Pizzagate“ von Warren Neidich und Ashiq Khondker, die sich der kruden Verschwörungstheorie widmet, Hillary Clinton wäre Teil eines Kinderpornografierings gewesen, wurde auch die Premiere des Films „Idomeni“ aus dem Studio Ai Weiwei gezeigt, der die unmenschlichen Umstände im griechischen Flüchtlingslager in 2016 dokumentiert.

Es war Kost, die mit einem Ortswechsel verdaut werden konnte. Musikalisch holten sie à la Creamcake ungewohnte Hörszenen ins OHM. Zwei Auftritte mit elektronischen Beats, Gesang in Violine-Kombination folgten von Ydegirl und Sadaf, sowie ein düster-metallisches und teils übersteuertes Set von Kareem Lotfy, dessen grafische Bilder sonst in internationalen Galerien hängen. Auf ihn folgte der dystopische Brite Oxhy mit einer Mischung aus softem Shouten zu basslastigen Trap, der mit seiner Performance Berlin kurzzeitig in seine Punk-Phase zurückversetzte.

Erneut wollen sie die BesucherInnen durch glatt polierte Post-Internet-Art-Ästhetik ins Politische locken

Auch am Freitag und Samstag wird sich das Hinterfragen von Gewohntem durchs Programm ziehen. Im Hebbel am Ufer (HAU) warten jeweils die Konzerte „333“ und „999“ unter anderem mit der queeren, schwarzen Diva Mhysa oder der ägyptischen Sängerin Nadah El Shazly. Bevor es zum Abschluss von 3hd am Samstag in der Clubnacht mit indisch- und nordafrikanisch stämmigen Musikerinnen wie der Rapperin Chippy Nonstop und den Künstlerbrüdern Bazoga kommt, wird am Nachmittag über den Ausverkauf von Subkultur durch Kooperationen mit Konzernen wie Institutionen (u.a. mit dem taz-Autoren Philipp Rhensius, „Assimilation Politics“ 27.09, ab 16.00 Uhr) diskutiert.

Dass Seitz und Weigl aus der queeren Subkultur kommen, zeigt sich am weiblichen Produktionsteam wie der Künstlerauswahl. Unterstützend kam in diesem Jahr eine Förderung durch den Hauptstadtkulturfond hinzu. „Wir sind gewachsen, auch wenn man das von außen nicht sieht“, sagt Weigl. Doch es ist sehr wohl bemerkbar, dass sie ihren Hauptveranstaltungsort, der 2015 die „vierte Welt“ war, gegen das Studio im Bethanien getauscht haben. Dennoch ist 3hd ein sehenswertes popkulturelles Forschungsprojekt geblieben, das bleiben wird.

Bis 27. Oktober, Hebbel am Ufer, die Säule, OHM und Studio 1 im Kunstquartier Bethanien. ­Weitere Informationen unter: 3hd-festival.com.

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