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Häkeldecke aus Doppelstäbchen

Das umlaufende Netz aus Stahl ist zu fein für eine klassische Balkonstruktur und zu elaboriert für ein Baugerüst. Es nimmt Funktionen auf, die das Innere kompromittieren würde. So ermöglicht es veränderbare Innenräume und schützt vor Starrheit und Festlegung. Gleichzeitig trägt es das Innere nach außen und ist eine Verlängerung des Arbeitsraumes in den Stadtraum.

Foto: Die tazler auf dem umlaufenden Balkon, 12. Dezember 2017Bild: Karsten Thielker

Text: Wim Eckert

Das neue Haus der taz ist von einer metallischen Haut umgeben. Sie ist eine feine, selbsttragende und begehbare Schicht, die sich um das Haus legt und die Grenze zwischen innen und außen erweitert und so zum umlaufenden Balkon wird. Umgekehrt der Netzhaut des menschlichen Auges ist diese Netzhaut eine Art Projektionsfläche für die Abbildung des Inneren nach außen. Es ist die architektonische Verdoppelung der eigentlichen Tragstruktur des Hauses, die nach außen hin sichtbar gemacht wird. Abends, wenn im Inneren des Hauses das Licht angeht, überlagern sich diese beiden Strukturen und werden kongruent.

Es ist diese Haut, die dem Haus seinen äußeren Charakter verleiht; zu fein für eine klassische Balkonstruktur und zu elaboriert für ein Baugerüst. Von der taz selbst liebevoll Häkeldecke genannt, ist sie feinmaschig genug, das gesamte Haus zusammenzubinden und grob genug, die Sicht nach außen ungehindert freizugeben.

Das diagonal ausgesteifte Netz ist aber auch Unterkonstruktion der Plakate und der Banner, die die taz hier noch aufhängen wird. Es erinnert uns an die abenteuerlichen Konstruktionen der Werbebanner, bevor sie durch digitale Medienwände ersetzt wurden und an den Radioturm von Wladimir Schuchow in Moskau – aber auch an den russischen Konstruktivismus von Iakov Chernikhov oder den Wettbewerbsentwurf für diePravdader Gebrüder Vesnin aus dem Jahre 1924, ebenfalls in Moskau. Einer der drei Brüder, Alexander Vesnin, schrieb 1930 anlässlich des Wettbewerbes für das Theater in Charkov: „Wir widerspiegeln die wesentlichen Teile eines Gebäudes in der Fassade und verstecken sie nicht in einem gemeinsamen geometrischen Baukörper, so dass das Gebäude nicht wie ein einfacher geometrischer Körper aussieht, sondern wie ein komplizierter Architektur-Organismus, so wie dieser sich darstellt in seinem inneren Aufbau.“

Die Aufgabe des Architekten besteht gemäß der Vorstellung der drei Brüder Vesnin darin, den Raum für eine bestimmte Lebens- oder Arbeitsform zu organisieren und diese innere Organisation nach außen zu tragen. Dies könnte man vom Neubau der taz auch behaupten. Wir haben im Inneren einen Raum organisiert, der eine Arbeitsform erlaubt, die möglichst viele unterschiedliche Raumsituationen ermöglicht, ohne dabei mit der vorgegebenen Struktur kollidieren zu müssen. Die inneren Räume gleichen einer offenen Plattform, strukturlos, aber geometrisch bestimmt. Die eigentliche Tragstruktur wird an die Peripherie des Raumes gelegt, alles, was determiniert und somit einengt wird noch weiter nach außen delegiert. Diese neu gewonnene innere Freiheit spiegelt sich in der äußeren Erscheinung des Neubaus mit seiner komplexen Netzhaut wider, die all diese baulichen Notwendigkeiten in ein System zu überführen vermag, oder in einen „Architektur-Organismus“, wie ihn die Gebrüder Vesnin nennen würden.

Ausschnnitt Fassade. Bild: Rory Gardiner

Die Häkeldecke als räumlicher Abschluss des Hauses ist aber auch ein auf allen Geschossen umlaufender Balkon, auf den man hinausgehen kann, um für einen kurzen Moment aus der Welt der taz in die Stadt zu treten, hinein nach Berlin. Er ist die Verlängerung des Arbeitsraumes in den Stadtraum hinaus; er ist Raucherbalkon, Pflanzgarten und Fahrradraum. Er ist der Ort für die kleine Pause, das Sonnenbad und den Hobbygärtner.

Er ist aber in jedem Fall weniger repräsentativer Erscheinungsbalkon als vielmehr Erholungsraum, der architekturtypologisch eher den Wohnbauten als den Geschäftshäusern zugeordnet wird und insofern eine typologische Entlehnung einer artfremden Nutzung für ein neues Verlagshaus ist.

Gehalten wird diese Netzhaut von unzähligen Fassadenkonsolen, deren Kreuzpunkte sich wie kleine Sterne in regelmäßigen Abständen über das gesamte Netz verteilen und dem Haus einen ganz eigenen, vorweihnachtlichen Glanz geben. Die Geometrie dieser Haut löst sich in eine Vielzahl gleicher rechtwinkliger Dreiecke auf, die zusammen eine Haut aus vertikalen, horizontalen und diagonalen Fluchten bilden. Die Dreiecke sind als Rahmen verschweißte, ungleichschenklige Profile in verzinktem Stahl und geben dem Bau so seine unprätentiöse und robuste Materialität. Sie wurden in der Werkstatt vorfabriziert, so dass vor Ort keine Schweißarbeiten stattfanden, sondern lediglich unzählige Schrauben die einzelnen Dreiecke zu einer zusammenhängenden Haut verbinden. In ihrer technischen Konsequenz führt die Auflösung der Fassadengeometrie in einzelne dreieckige Rahmenelemente zu einer doppelten Fügung entlang der vertikalen, horizontalen und diagonalen Geometrie. Die Geometrielinien werden zu Doppelprofilen mit Zwischenraum gefügt und geben der Solidität der Stahlprofile eine zusätzliche Feinheit, die erst im Schattenbild der Fassade wirklich lesbar wird.

Kreuzpunkt Fassade, Bild: E2A

Die umlaufenden Balkone unserer Stahlhaut münden im Hof in eine doppelläufige Treppenskulptur, diese ist aber weniger Kunstobjekt als vielmehr Notwendigkeit. Sie befreit nämlich den Innenraum von seiner brandschutztechnischen Pflicht, teure Sicherheitstreppenhäuser anbieten zu müssen, welche in ihrer baulichen Konsequenz als massive, belüftete Treppenkerne die innere Organisation festlegen würden. Die Stahlhaut nimmt somit Funktionen auf, die den Innenraum kompromittieren würden und schützt so die veränderbare innere Welt vor allzu viel Starrheit und Festlegung.

[1]siehe auch: Karin Carmen Jung und Dietrich Worbs: Die Brüder Vesnin und ihre konstruktivistische Architekturkonzeption, Werk, Bauen + Wohnen, Heft 4, 1985,

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