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Der Widerstand beginnt am Kaffeetisch

Meine Patentante war für mich wie ein dritter Elternteil – bis ihr neuer Freund irgendwann anfing, seine politischen Ansichten zu artikulieren

Von Gerda Kahlo*

Meine Patentante A. war immer da. Als ich die Hauptrolle in meinem Schultheaterstück ergatterte, saß sie in der ersten Reihe und feuerte mich an. Vor Chemiearbeiten war sie die einzige, die mir den Unterschied zwischen Säuren und Basen verständlich machen konnte und stundenlang mit mir lernte. Als meine Mutter krank wurde, fuhr sie mit mir ins Krankenhaus und wartete mit mir vor dem Aufwachraum. A. war wie ein drittes, weitaus entspannteres Elternteil, mit einer unglaublich positiven Einstellung zum Leben.

Umso schlimmer war es, als A. eines Tages mit ihrem neuen Freund K. auftauchte. Ich war gerade 15 Jahre alt, hatte angefangen, mich in der Flüchtlingshilfe zu engagieren und Politik war zu meinem einzigen Thema geworden. K. war ein sympathischer Mann mit norddeutschem Akzent und karierten Holzfällerhemden, der garantiert aushalf, wenn im Haushalt etwas repariert werden musste.

Ein paar Mal brachte er seine Abscheu vor Sozialdemokraten zum Ausdruck, die ich, aus linker Perspektive, nachvollziehen konnte. An einem unserer Geburtstagsbrunches kam dann aber seine wirkliche Fratze zum Vorschein. „Das Pack soll raus“, schrie er über den Apfelkuchen zu mir rüber und eine Freundin meiner Patentante stimmte ihm zu. Schlagartig brach ein Teil meiner Welt zusammen. Wie konnte meine geliebte A., die so viel Einfluss auf mich ausgeübt hatte, mit solch einem Menschen zusammen sein? Dachte sie selber so?

Ich fing an zu diskutieren. Erklärte, dass die eigene prekäre Situation doch nicht an den Geflüchteten liege und dass er seinen Feind an falscher Stelle sehe. Schnell wurde klar, dass K. kein dummer Wutbürger war, sondern ein waschechter Nazi.

Nazis kannte ich damals nur aus dem Geschichtsunterricht und von Internetvideos aus Dunkeldeutschland, weitab von meiner Altonaer Filterblase. Dass sich ein solcher Mensch nun wieder direkt an unserem Kaffeetisch aufhielt und einfach so toleriert wurde, machte mich fassungslos. A., wie immer harmoniebedürftig, bat uns, die politischen Themen doch bitte vom Tisch zu fegen.

Seit diesem verhängnisvollen Brunch sind vier Jahre vergangen. Meine Patentante, die ich früher wöchentlich gesehen habe, treffe ich nur noch zwei oder drei mal im Jahr. An Geburtstagen verlasse ich viel zu früh den Tisch, wenn sie kommt. Für mich ist es fast so, als wäre sie gestorben, denn die Frau, die mit ihrem alten VW-Bus, den vielen Halsketten und ihrer ständigen guten Laune an einen Hippie erinnert, liebt einen Menschen, der stolz die Fahne der AfD schwenkt und meint, Hitler wäre ja gar nicht so schlimm gewesen.

A. fehlt mir und ich glaube auch nicht, dass sie selber so denkt. Jedoch ist jedes weitere Schweigen eine Zustimmung für die Rechten. Man darf Geschichte nicht einfach geschehen lassen und somit fängt der Widerstand gegen Nazis für mich am Kaffeetisch an.

Trotzdem hoffe ich darauf, dass A. sich von K. trennt, damit wir vielleicht irgendwann wieder zusammen Kaffee trinken können.

*Name geändert

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