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Ich ist ein Irrtum

Heute Abend wird im Ocelot der Band „Das Gedicht & sein Double“ vorgestellt. Wir drucken daraus einen Essay der Herausgeberin Nancy Hünger zum Thema Autorschaft und Abbild

Warum kümmert’s uns, wer spricht? Eugen Gomringer (links) und Nora Bossong (rechts) Foto: Foto: Dirk Skiba

Von Nancy Hünger​

Als Dichterin werde ich gelegentlich vor Objektive genötigt, soll mein Gesicht elegisch oder heiter hierhin und dahin wenden, sitzend, kniend, kopfstehend auf einer Straße, unter einer Parkbank, im Gegenlicht oder Halbschatten. So will mich der Fotograf, der oft schon beim ersten Handschlag ein Bild von mir entworfen hat, zumeist in eine pseudopoetische Umgebung drapieren, die ihm eine äußere Entsprechung meines vermutlich ruinösen Inneren scheint, und wenn alles nix taugt, schiebt man die Dichterin vors heimische Bücherregal. Lange genug habe ich diese Prozedur stoisch, weil unhinterfragt ertragen. Doch vor einigen Jahren begann ich mich sacht, aber bestimmt zu verweigern, gab den Hinterkopf oder blickte starr zur Seite, schloss die Augen, die mir eine allzu intime Angelegenheit scheinen, und nun versuche ich mich, so ich kann, gänzlich zu entziehen, sage beherzt und freudig: nein. „Schließlich“, um es mit Böll zu sagen, „liegt der Öffentlichkeit vor, was ein Autor publiziert. Mag sie sich also ein Instrument schaffen, ihn danach zu beurteilen. Alles andere kommt mir immer ein wenig wie Schnüffelei vor. Ein Schriftsteller veröffentlicht, aber er ist keine öffentliche Person.“

Doch ein Nein ist einfacher gesagt als getan, denn an dem Porträt entzünden sich vielfältige Interessen. Verlage, Veranstalter, Presse, Fotografen, Leser – alle drängen auf ein Foto, das neu und neuer, brandaktuell sein soll. Wem gehört eigentlich mein Gesicht, wer hat Anrecht darauf und warum und was besagt das Porträt, dieses seltsame Supplement, über unser Verständnis von Autorschaft und Verhältnis zur Literatur? Gewiss, der Tanz um den goldenen Autor ist längst zum Volkstanz ritualisiert. Mit der Erfindung des Urheberrechts und der Entstehung des Genie- und Autorschaftsbegriffs rückte er zunehmend ins Interesse von Lesern und Exegeten. Kritische Debatten über den impliziten Autor, den impliziten Leser bis zum allseits reklamierten Tod des Autors entbrannten, doch ließen diese akademischen Stellvertreterkriege die Begier der Leserschaft und die merkantilen Erfordernisse des Marktes gänzlich unberührt. Es gilt: Der Autor ist tot, lang lebe der Autor.

Das wissen auch Verlage, Veranstalter, Presse und Fotografen, das spürt zuletzt der Autor an Seele, Leib und Gesicht, der, insofern er nicht ins mediale, verkaufsarme Abseits geraten will (was für die meisten Autoren ehedem nur bedeuten kann: abseits vom Abseits), sein Gesichtchen, längst geprüftes Gütesiegel, Signatur und Markenzeichen zugleich, artig auf, vor und mit dem Werk präsentiert, gern auch im Bewegtbild, mit allerhand Meinung über Gott und Welt bis unter die flotte Zungenspitze verproviantiert.

Lyriker*innen im Porträt

Auf dieser Seite finden Sie eine gekürzte Fassung des Essays „Der Autor im Portrait oder Ich ist ein Irrtum“ von Nancy Hünger. In voller Länge ist es in dem Band „Das Gedicht & sein Double. Die zeitgenössische Lyrikszene im Portrait“ zu finden. Herausgegeben wurde er von Helge Pfannenschmidt und Nancy Hünger, er umfasst 224 Seiten und kostet 34,90 Euro. Zu sehen sind dort Fotos, die Dirk Skiba in den vergangenen Jahren von DichterInnen und Dichtern aufgenommen hat. In dem Band sind den fotografischen Aufnahmen lyrische Selbstporträts der DichterInnen beigestellt. Die Buchpremiere und Vernissage findet heute Abend ab 20 Uhr in der Buchhandlung Ocelot, Brunnenstr. 181 statt. Lesung und Gespräch mit dem Fotografen Dirk Skiba und dem Verleger und Herausgeber Helge Pfannenschmidt. Es lesen die Dichter*innen: Lydia Daher, Maren Kames, Volker Sielaff u. a.

Autor und Werk sind längst untrennbar: eins, in wechselseitiger Zeugenschaft zwangsverschwistert. Wie zwingend diese Zeugenschaft wirkt, zeigt sich, wo sie infrage steht, um nur das ewige Rätsel Shakespeare zu nennen oder Ferrante, Pynchon & Co., die Ex negativo das gleiche Spiel betreiben (müssen) und durch konsequenten Entzug der eigenen Persönlichkeit das allseitige Begehren künstlich befeuern. Bedeutung, Status und Wert eines Werkes stehen, frei nach Foucault, dauerhaft zur Diskussion, wo unter anderem die Frage nach Autorschaft nicht letztgültig beantwortet ist. Aber warum kümmert uns, wer spricht? Wo uns doch vielmehr kümmern sollte, was gesprochen respektive geschrieben wird.

Wilhelm Genazino vermutet einen narzisstischen Transfer: Sobald wir als Leser ein Verhältnis zu einem Text entwickeln, entwickeln wir zugleich eine Vorstellung vom idealen Autor dieses Textes, der unseren Vorstellungen und Projektionen entsprechen soll. Wir lavatern in der Physiognomie herum, versuchen das Äußere aufs Innere zu deduzieren, suchen vermutete Ähnlichkeiten, letztlich Ähnlichkeiten zu uns selbst. Schließlich identifizieren wir uns nicht mehr einzig mit dem Text, sondern, dank der medialen Möglichkeiten, stärker noch mit dem Autor, der zum Roman des Lesers wird. Der Text gibt uns ein vages Versprechen, das der Autor einzulösen hat. Von diesem Versprechen, diesem Begehr, wissen alle Beteiligten und sind fleißig bemüht, des Lesers Wunsch nach einem intimen Verhältnis nicht nur zu befriedigen, sondern zu steigern.

Doch dient zur Wunschgenese nicht nur der narzisstischer Transfer, sondern sicherlich auch die Unsichtbarkeit des literarischen Aktes. „Das Schreiben kann man nicht sehen“, konstatierte Ingeborg Bachmann. Den Autor hingegen, der ein ehedem vorgegebenes Material, mit begrenzten Zeichen, immer wieder wandelt und entgrenzt, sodass selbst Freud nach dem Urgrund des dichterischen Vermögens forschen wollte, schon. Wenigstens er ist habhaft, auch wenn er im entscheidenden Moment, zu autorisierter Redlichkeit verpflichtet, wenig Erhellendes mitzuteilen hat, können wir zumindest im Gesicht gründeln, was sich der Mitteilung so beharrlich zu verweigern scheint, dieses: Wie denn nun also genau?

Das Ich ist nur eine Behauptung, die mit jedem literarischen Text infrage steht

Was einst mit symbolisch überfrachteten Dichterbildnissen begann, man denke nur an Schiller in kontemplativer Pose vor der Homer-Büste, die zumeist als Frontispiz die Bücher zierten und das Subgenere Autorenporträt einstmals begründeten, entwickelte sich auf dem Weg von Analog zu Digital zur medialen Dauerpräsenz. Wie rührend unschuldig sich heutzutage viele Porträts aus den 70er, 80er und 90er Jahren ausnehmen: Oftmals – unter dem Diktat des analogen Materials – geknipste Schüsse, samt ihren produktiven Unschärfen an den Rändern der Autoren, die offensichtlich selbst nicht wussten, wie sich in Szene setzen. Diesen Porträts ist eine schwer fassliche Distanz zwischen Autor und Kamera eigen, das Flair des noli me tangere, das mit der zunehmenden Professionalisierung beiderseits vielfach auf den tatsächlichen Abstand zwischen Gesicht und Fokus zusammengeschnurrt scheint. So nah, dass der Text hinter dem eindimensionalen Autor allmählich zu schwinden droht.

Im Zeitalter der „facialen Gesellschaft“, die seriell Gesichter in Jetztzeit produziert, fehlt uns, so Hans Belting, nichts so sehr wie das Gesicht. Vorbei also die Zeit der ikonischen Porträts, die ihre Bedeutung aus der medialen Zurückgezogenheit vieler Autoren und der Gunst des Augenblicks bezogen. Aber ob ikonisch oder inflationär, die Lust am Abbild, das freilich nur ein Zeichen von abwesender Präsenz zu bieten vermag, also eine dramatische Leerstelle bekundet, bleibt ungebrochen.

Das Foto zeigt uns, wie wir uns selbst niemals sehen können. Nicht einmal im Spiegel, da wir immerfort einem anderen begegnen, denn wir sehen unser Spiegelbild tagtäglich schön, weil wir – wohl oder übel – Umgang mit uns pflegen müssen, mit unserem So-Sein, wir gleichen Asymmetrien aus, glätten die Falten, üben uns in der Vorstellung unseres Gesichtes, letztlich in einer Vorstellung vom Ich. Das bin ich und das ist der Mere-Exposure-Effekt, jener Effekt, der in seiner Umkehrung dafür sorgt, dass wir vor fotografischen Aufnahmen unseres Selbst erschrecken, uns nicht wiedererkennen und ausrufen wollen: Das bin nicht ich. Das Foto lügt immer, allein weil es wahr sein will. Das zumindest haben Foto und Autor gemein. Wir lügen, weil wir ›wahr‹ sein wollen. Wir müssen lügen, um der ›Wahrheit‹ willen, was immer wir dafür halten.

Paul Hoffmann lobte die Dichtung, weil sie einen intimen Dialog eröffnet, da ein Einzelner zu Einzelnen spricht. Ein Ich zu einem anderen Ich. In der Literatur scheint das Ich plural, es steht zur Disposition, ist immer angreifbar, strittig, nicht zu erschöpfen. Dieses Ich entzieht sich dem doktrinären Zwang eines Bildes ebenso wie dem proklamierten Individualitätsdiktat, das den Einzelnen in einer entsozialisierten, narzisstischen Ich-Masse zum Verstummen bringt. Gerade darin, scheint mir, liegen Herausforderung und Stärke der Literatur: Das Ich ist nur eine Passage, eine Behauptung, die mit jedem literarischen Text infrage steht, infrage gestellt werden muss, auch das haben Porträt und Gedicht vielleicht gemein, sie hinterfragen das Subjekt am Ende des Subjekts, nur unter veränderten Vorzeichen.

Während die zeitgenössischen Medien das Subjekt zum Verlöschen bringen, hilft die Literatur, so will ich glauben, sich des eigenen Selbsts, der eigenen Identität zu versichern oder sich verunsichern zu lassen. Nicht ich, nicht der Autor, nicht der Dichter, nicht der Schriftsteller, nicht einmal der Fotograf, so gut er auch sei, kann sagen, wer wir sind, wie wir sind, wie wir sein wollen, aber die Literatur kann uns eine Ahnung von uns selbst geben, indem sie uns mit uns selbst konfrontiert, radikal infrage stellt, aber die Antworten getreulich für sich behält. Indem ein Einzelner zu einem Einzelnen spricht.

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