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Passwort Lenin

Die Werkschau „Family Affairs“ feiert ab dem kommenden Dienstag die filmischen Beziehungen zwischen Georgien und dem Arsenal Kino Berlin

Von Barbara Wurm

Kommenden Dienstag ist es wieder einmal so weit. Der große Ironiker des georgischen Kinos Otar Iosseliani wird anlässlich der Übergabe seines digital restaurierten Gesamtwerks an die Sammlung des Kino Arsenal erneut nach Berlin kommen, wo man von 22. bis 31. Oktober 2018 feiert.

„Family Affairs. Filmische Beziehungen zwischen Georgien und dem Arsenal“ lautet die Ankündigung stolz – zu Recht. Denn mag das diesjährige Gastland bei der Frankfurter Buchmesse vielleicht nur ein weiterer exotischer Geliebter wie so viele andere Schwerpunktländer auch gewesen sein, einmal gehypt, aufgeflammt und wieder vergessen, so ist dieses Georgien im Kino Arsenal – benannt nach einem Film des Lehrers von Iosseliani an der Moskauer Filmhochschule, Aleksandr Dov­zhenko – als Filmland in Berlin längst heimisch und zu einer jahrzehntelangen, generationenübergreifenden Familienangelegenheit geworden. Existenzsichernd oft.

Seit Jahrzehnten wurden die Regisseure (aber auch die Regisseurinnen, deren Zahl in den letzten Jahren nach oben klettert) vom Gründerpaar des Kinos, Erika und Ulrich Gregor, nach Berlin eingeladen – und ihre Filme, in der Sowjetunion dem aktiven Vergessen ausgesetzt, in die Sammlung aufgenommen. Genauer seit 1975, als es im Rahmen einer „Georgischen Filmwoche“ erstmals gelang, gegen den Widerstand der sowjetischen Filmbehörden eine Reihe mit Fokus auf dieses herausragende nationale Filmstudio der UdSSR, damals „Gruzija-Film“, durchzusetzen.

Wie komplex (aber auch heiter) dieses filmdiplomatische Anliegen war, schildert Erika Gregor in einem Gespräch, das Eingang gefunden hat in die reihenbegleitende Publikation, pünktlich zur Buchmesse in drei Sprachen (exklusive russ.) erschienen. „Das Passwort ist Lenin“ riet sie damals anderen internationalen Filminstitutionen, die sich in die (singuläre) Poesie des georgischen Kinos verknallt hatten, aber diese Filme meist doch nur als Anhängsel eines eben die Sowjetunion und nicht eine ihrer Republiken repräsentierenden Gesamtpakets angeboten bekamen. „Passwort Lenin“ meinte den Deal: Wir (Berlin-West) geben euch eine Lenin-Filmreihe (die ebenfalls „wunderbare“ Filme umfasste, so Gregor), ihr (Botschaft Berlin-Ost) gebt uns die Georgier. Angebot und Nachfrage hatten im Sozialismus etwas irgendwie gut Steuerbares.

Spielchen dieser Art kannte man vielleicht nirgendwo so gut wie in Georgien – und auch hier siegte langfristig der Humor. Zwar reiste Iosseliani nach unzähligen Negativerfahrungen mit der Zensur („exzessiver Formalismus“ etc.) 1982 aus der UdSSR aus und emigrierte nach Frankreich, dennoch ist nun ein legendärer Satz überliefert, abgedruckt im Buch zur Reihe: „Mich bringt zum Lachen, wenn Menschen sehr ernst sind.“

Das könnte auch das Motto seines zweiten langen Spielfilms „Es war einmal eine Singdrossel“ (Iqo Schaschwi mgalobeli, 1970) sein, den der 84-jährige Maestro diesmal in Berlin präsentieren wird (23. 10., 20 h). Denn Held Gia, ein junger Musiker, kann einfach zum Leben in ernsthaften Bahnen keine rechte Beziehung herstellen. Genau das aber scheinen die Menschen an ihm zu lieben: die vielen Frauen, auf die er ein Auge wirft und sie auf ihn (naturgemäß), seine Mutter (noch naturgemäßer), aber auch seine Trinkkumpane oder die Kollegen im Orchester, wo er für Paukenschläge sorgt (zwar immer in letzter Sekunde und schlipsbindend hereinsprintend, aber doch nie seinen Einsatz verpassend).

Das unangepasste Träumen dieses Gia, sein Nie-ganz-in-Sync-mit-der-Zeit-Sein (besonders mit der, die ihn umgibt), wird zum Sinnbild einer Filmkultur, die sich stets ihren eigenen Rhythmus jenseits der politischen und ideologischen Konjunkturen ihrer Zeit gegeben, ja herausgenommen hat. Der Eröffnungsfilm, „Der Baum der Wünsche“ (Natwris che) von Tengis Abuladse (22. 10., 20 h), ein surreales Meisterwerk des Spätsozialismus – die unglückliche Liebesgeschichte eines jungen Paares im vorrevolutionären Dorf – steht ebenfalls ganz in dieser Tradition.

Diese beiden halbwegs zugängigen Werke werden flankiert von einem experimentell-dokumentarischen Brückenschlag in die Industrieruinen-Gegenwart („City of the Sun“ / „Msis kalaki“ von Rati Oneli), sowie Eldar Schengelaias bizarr-systemkritischen Kultfilm „Sonderlingen“ (Sche­rekilebi) und einem „der am ­wenigsten bekannten, aber schönsten georgischen Filme“ (Ulrich Gregor), „Leuchtkäferchen“ (Deduna, 1987). Das Arsenal-Archiv ist sehr lebendig. Und dank ihm auch der georgische Film.

„Family Affairs. Filmische Beziehungen zwischen Georgien und dem Arsenal“: Arsenal, Potsdamer Straße 2, 22.–31. Oktober

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