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Zeit der inwendigen Schönheit

Wertvoll sind Fotos wie jene von Ann-Christine Jansson, die ein Gefühl für die Zeit herstellen, in der sie entstanden sind

Diese 80er Jahre – sie waren inwendig schön. Das ist geblieben. Von außen aber sind sie wie gelöscht, deletet. Auch überholt, wie die Schwarzweißfotografie überholt wurde, obwohl sie doch so großartig in Austausch tritt mit denen, die die Bilder betrachten. Die müssen sie vor ihrem inneren Auge um die Farben ergänzen.

Ann-Christine Jansson, die in den 80er Jahren aus Stockholm nach Berlin kam, hat die Jahre vor und nach der Wende dokumentiert. Sie war angezogen vom Rohen, Groben, Heftigen, das im Alltag als Normalität sichtbar wird. Wie eine Erinnerungsstütze wirken ihre Fotos aus und um Berlin. Die Stadt war im Schwarzweiß der Nachkriegsära noch immer festgezurrt – vor allem in den ehemaligen Arbeitervierteln mit ihren kohlenrauchgeschwängerten Fassaden, viele noch mit Einschusslöchern.

Damals kämpften viele Leute weiter um ihre Glaubwürdigkeit, die ihnen von den Nazis geklaut wurde. „Ich hab drei Juden versteckt, zweieinhalb Jahre, einer starb, nachts mussten wir ihn in die Spree werfen“, sagte mein Nachbar immer wieder – es war schwer zu glauben. Nach seinem Tod war klar: Es stimmte. Im Haus nebenan wiederum gründete Ann-Christine Jansson in einem Laden, der „Libertäres Forum“ hieß, eine Gruppe, die „Unsichtbares Theater“ machte. Sie spielten Alltagsszenen auf Plätzen, in der U-Bahn, zettelten Diskussio­nen um Rassismus, Sexismus, Ausgrenzung an und niemand merkte: Es war nur gespielt. Dort lernte ich die Fotografin kennen.

Die Atmosphäre in der Zeit hatte etwas Düsteres, in meiner Erinnerung untermalt von den Schreien eines Mannes, der jede Nacht die Folter neu durchlebte. Wurde er, was öfters passierte, von der Polizei abgeholt und in „die Geschlossene“ gekarrt, wehrte er sich, „ich bin Widerstandskämpfer“. „Ebendrum“, antworteten Polizisten, die, die Nazibrutalität noch im Kopf, auf Demos gegen Atomkraft, gegen Hausbesetzungen, gegen Staatsgewalt zuschlugen.

Ich bin bewusstlos geschlagen worden von ihnen. Beim Protest gegen Reagan am Nollendorfplatz 1982. Wir waren eingekesselt, die U-Bahn verschlossen, Stacheldraht um den Platz. Immer wieder fuhren Wannen in den Kessel, die Polizisten sprangen ab, schlugen zu. Ann-Christine Jansson war dort als Fotografin. Bei einer anderen Demo wurde auch sie zusammengeschlagen.

In Berlin lag der Strand unterm Pflaster, wie eine Frauenband sang, und ein anderes Lied, das Ende der 70er Jahre die Hitparaden rockte, wurde zur Hymne der 80er: I will survive. Wer Janssons Fotos sieht, bekommt eine Ahnung davon.

Mit der Wende vergrößerte sich der Radius um die Stadt – und die Farbfotografie spielte sich endgültig in den Vordergrund. Auch Jansson benutzt nun oft Farbfilme. Das Unausgesprochene, das ins Bild zieht, muss sie nun aus Farbe und Form entwickeln. Sie sagt es einfacher: „Ich versuche, die deutsch-deutsche Geschichte zu erzählen, indem ich Nähe herstelle zu den Menschen.“ Waltraud Schwab

Turns / Umbrüche, Jene Jahre / Those Years 1980–1995, Fotografien von Ann-Christine Jansson, 208 Seiten, erscheint zur Frankfurter Buchmesse im Verlag seltmann+söhne

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