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Manche Schattenzonen werden nie ausgeleuchtet

Olivier Guez beschreibt die Flucht von Josef Mengele

Von Klaus Bittermann

Das Leben des berüchtigten KZ-Arztes Josef Mengele ist ausgiebig erforscht, nun ist auch noch dieser Roman über ihn aus dem Französischen übersetzt worden. Der Autor Olivier Guez ist Journalist und hat das Drehbuch für den Film „Der Staat gegen Fritz Bauer“ geschrieben. Über Mengele hat er die einschlägige Literatur zu Rate gezogen, er ist zudem nach Argentinien und Brasilien geflogen, zu den Orten, an denen Mengele sich versteckt hat.

Ihm ist ein grandioses Buch gelungen, weil er es versteht, ohne jegliche moralische Bewertung auszukommen. Guez berichtet sachlich und genau, und nur manchmal rutscht ihm ein Adjektiv durch, auf das man hätte verzichten können. Guez’ Buch beginnt mit der Ankunft Mengeles in Buenos Aires. Es schildert den politischen Hintergrund, der eine solche Flucht möglich machte, die Verhältnisse in Argentinien unter Péron, der die Nazis wegen ihrer Kriegsleistungen bewunderte. Es beschreibt das weithin bekannte Hintertreiben einer juristischen Aufarbeitung durch die von Nazis durchsetzte Bundesregierung in der Nachkriegszeit, die Nazi-Seilschaften, die sich um ihre „Kameraden“ kümmerten und die Familie Mengele warnten, wenn eine Hausdurchsuchung angeordnet wurde, was einem angesichts der NSU und der Vorfälle in Chemnitz ein Déjà-vu beschert.

Guez gelingt es, mit einfachen erzählerischen Mitteln das Milieu im Exil zu beschreiben, in dem die Nazis auf groteske Weise ihre Weltanschauung pflegten. Das ist gut gemacht. Nur Éric Vuillard ist in seinem Werk „Die Tagesordnung“ psychologisch vielleicht noch präziser.

Aufgrund der Tagebücher Mengeles lässt sich zwar vieles rekonstruieren, aber Mengele mied aus naheliegenden Gründen die Öffentlichkeit, vor allem, als durch Zeugenaussagen immer mehr über seine Rolle im KZ ans Tageslicht kam, im Frankfurter Auschwitz-Prozess häufig sein Name fiel und der israelische Geheimdienst nach der Entführung Eichmanns ihn fast erwischt hätte. Sobald das Interesse der Öffentlichkeit sich auf ihn fokussierte, musste Mengele wie eine Kakerlake schnell in Ritzen verschwinden. Vielleicht untersuchte und bewunderte er deshalb die robuste lateinamerikanische Kakerlake, lockte sie mit Zucker auf dem Badezimmerboden an, „um das weiße Blut zu beobachten, das aus ihrem verletzten Brustkorb tropft“.

Olivier Guez: „Das Verschwinden des Josef Mengele“. Aus dem Französischen von Nicola Denis. Aufbau, Berlin 2018. 224 Seiten, 20 Euro

Am Ende lässt Guez Mengele beim Baden an der brasilianischen Küste ertrinken. Aber das ist Fiktion und letztlich auch unwichtig. Guez schreibt, dass „manche Schattenzonen vermutlich nie ganz ausgeleuchtet werden“ und dass es nur in der „Form eines Romans“ gelingt, „dem makabren Leben“ des Nazi-Arztes möglichst nahe zu kommen. Aber darin besteht auch gleichzeitig die Schwäche des Buches, denn auch wenn sich die dokumentierten und die fiktiven Stellen des Buches in der Regel auseinanderhalten lassen, so gibt es nicht wenige Stellen, wo man gerne gewusst hätte, ob das nun ausgedacht oder tatsächlich passiert ist.

Und dann stellt sich die Frage: Warum eigentlich will Guez dem Leben Mengeles möglichst nahe kommen? Will man wirklich wissen, welche Qualen Mengele erleiden musste, welche Ängste und Träume ihn plagten und dass ihm eine „Vertreterin einer minderwertigen Rasse“ einen geblasen hat? Ein Stück weit ist Guez vielleicht der Versuchung erlegen, das Leben Mengeles als ein ganz und gar erbärmliches zu beschreiben, um den Gerüchten ein Ende zu bereiten, die Mengele umschwärmten wie Motten das Licht, weil er nicht auffindbar war und doch überall gesehen wurde.

Dennoch ein Buch von großer Wichtigkeit, denn die Leute, die nichts dabei finden würden, einem Mann wie Mengele wieder zu helfen oder den Mantel des Schweigens über seine grauenhaften Taten zu legen, gibt es auch heute noch. Und sie werden mehr.

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