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Sich nicht gegeneinander ausspielen lassen

In mehr als 1.200 größeren und multinationalen Unternehmen gibt es einen Europäischen Betriebsrat. Ein neues Weiterbildungszentrum für Mitglieder eröffnet jetzt in Celle-Hustedt

Ein Festakt zu 70 Jahren Bildungszentrum Heimvolkshochschule Hustedt und der Einweihung des Zentrums für Europäische Betriebsräte findet am 30. November in Celle-Hustedt statt. Ihr Kommen haben auch Niedersachsens Ministerpräsident Stephan Weil (SPD) und der VW-Gesamtbetriebsratsvorsitzender Bernd Osterloh angekündigt.

Infos: www.hvhs-hustedt.de

Von Joachim Göres

Interessenvertretung im Betrieb, aktuelle Probleme und Entwicklungen im Arbeitsrecht, Schwerbehindertenvertretung – das sind die Themen einiger der mehr als 300 Seminare, die jedes Jahr in der Heimvolkshochschule Hustedt am Stadtrand von Celle stattfinden. Vor allem Gewerkschaftsmitglieder bilden sich hier fort, um sich in ihrer Firma besser für die Belange der Beschäftigten einsetzen zu können.

Ab sofort soll dies in Hustedt auch auf internationaler Ebene geschehen. In dem gerade eröffneten „Zentrum für Europäische Betriebsräte“ können sich Arbeitnehmervertreter aus verschiedenen Ländern weiterbilden, zudem finden sie hier einen Ort für gemeinsame Sitzungen. Dafür stehen in dem für 5,2 Millionen Euro neu erbauten Gebäude acht Dolmetscherkabinen bereit.

Jens Theivagt weiß, dass die Zusammenarbeit über Ländergrenzen hinweg nicht nur wegen der sprachlichen Verständigung oft kompliziert ist. „Kollegen aus Osteuropa hören voller Erstaunen, dass in Deutschland in Großbetrieben Betriebsräte für ihre Arbeit freigestellt werden, während sie nicht mal einen Internetzugang haben“, sagt der Betriebsratsvorsitzende des Unilever-Werkes Buxtehude und Mitglied des Europäischen Betriebsrates (EBR), der kürzlich auf der Konferenz „Mitbestimmung in Europa: Wo wir stehen, wo wir hinwollen“ in Hustedt sprach. Zudem gibt es zum Beispiel in Frankreich oder Polen in einem Unternehmen häufig viele konkurrierende Gewerkschaften, die nichts, aber auch gar nichts miteinander zu tun haben wollen. In einigen Ländern spielen Betriebsräte kaum eine Rolle.

Seit 1996 hat der Lebensmittel- und Verbrauchsgüterkonzern Unilever – bekannt durch Marken wie Rama, Langnese, Pfanni – einen Europäischen Betriebsrat. 36 Mitglieder aus 20 Ländern treffen sich zweimal im Jahr, ein kleiner Kreis von acht Betriebsräten berät einmal im Monat über aktuelle Entwicklungen im niederländisch-britischen Unternehmen mit einem Jahresumsatz von mehr als 60 Milliarden Dollar. „Durch unsere einstimmigen Entscheidungen können wir verhindern, dass die Geschäftsleitung die verschiedenen Standorte gegeneinander ausspielt“, sagt der EBR-Vorsitzende Hermann Soggeberg. „Unser Betriebsrat hat bei den Themen Gesundheit, Jugendbeschäftigung und Gleichstellung am Arbeitsplatz Verbesserungen erreicht, wobei die Umsetzung in jedem Land anders aussieht. Das hängt vom Interesse der Beschäftigten vor Ort am jeweiligen Thema ab“, sagt Soggeberg.

Seit 1996 legt eine EU-Richtlinie fest, dass in Unternehmen mit mehr als 1.000 Beschäftigten, von denen jeweils mindestens 150 in zwei oder mehr EU-Ländern arbeiten, ein EBR eingerichtet werden kann. In der EU bestehen derzeit mehr als 1.200 Europäische Betriebsräte. Sie müssen von der Unternehmensleitung über die wirtschaftliche Entwicklung in den verschiedenen Werken informiert werden. In diesem Gremium haben die Arbeitnehmervertreter aus den europäischen Standorten die Chance, gemeinsam der Konzernleitung ihre Forderungen zu präsentieren. „Es gibt bei Unilever ständig Umstrukturierungen. Wir konnten noch keine Verlagerung der Produktion von einem Standort des Konzerns an einen anderen verhindern, aber wir können uns mit der Kenntnis der Wirtschaftszahlen besser dafür einsetzen, dass die Mitarbeiter im geschlossenen Werk nicht mit leeren Händen dastehen“, betont Soggeberg. Verkauf statt Schließung, Förderung von Neuansiedlungen, Sozialpläne – so soll den Betroffenen geholfen werden.

Wolfgang Lemb, geschäftsführendes Vorstandsmitglied der Industriegewerkschaft Metall, war gerade in Polen. Dort hat er Kontakt zu Arbeitnehmervertretern im Opel-Werk Gliwice aufgenommen. „In Gliwice wird nur ein Opel-Modell gefertigt wie auch am Opel-Standort Eisenach. Damit kann man nicht überleben – die Betriebsräte in Gliwice und Eisenach müssen gemeinsam im Europäischen Betriebsrat für die Herstellung weiterer Modelle an ihrem Standort kämpfen, nur so haben sie eine Chance“, sagt Lemb. Er weiß, dass dies nicht einfach ist. Polnische Arbeitnehmer beklagen sich über ihre geringeren Rechte und schlechteren Arbeitsbedingungen, in Deutschland werfen Gewerkschafter dagegen ihren polnischen Kollegen nicht selten mangelnde Kampfbereitschaft vor. Lemb hält von solchen Vorwürfen wenig: „Ich bin mit Ratschlägen sehr zurückhaltend, denn in Polen sind Arbeitnehmer größeren Repressionen ausgesetzt.“ Nur durch eine enge Zusammenarbeit wie im EBR sei es möglich, füreinander Verständnis zu schaffen und solidarisch zu handeln.

Im ungarischen Györ unterstützt die IG Metall ein Projektbüro, das Arbeitnehmervertreter berät und weiterbildet, die bei deutschen Autobauern und deren Zulieferern arbeiten. Bis heute wurden in Györ mehr als 30 Millionen Motoren für Audi und VW gebaut, die Beschäftigten verdienen zwischen 400 und 800 Euro brutto. Außerdem werden dort Zwölf-Stunden-Schichten und intransparente Entlohnungssysteme getestet. Für Lemb ist klar: „Arbeitsplätze und Standards in den deutschen Werken sind nur sicher, wenn auch in den ausländischen Werken die Arbeits- und Einkommensbedingungen verbessert werden.“

Vorreiter bei der internationalen Zusammenarbeit der Arbeitnehmer ist Volkswagen. Der erste EBR-Vorsitzende bei VW in Wolfsburg, Gerhard Mogwitz, erinnert sich an die Zeit der 80er- und 90er-Jahre: „Es gab bei Kollegen aus anderen Ländern die Angst, dass wir ihnen das deutsche System der Einheitsgewerkschaft aufstülpen wollen. Durch gemeinsame Seminare entstand Vertrauen und es wurde klar, dass in den verschiedenen Werken grundsätzlich die gleichen Probleme bestehen, die man besser gemeinsam als alleine lösen kann.“

Neben dem EBR gibt es als internationale Arbeitnehmervertretung den SE-BR – hinter dieser Abkürzung verbirgt sich der Betriebsrat einer Europäischen Aktiengesellschaft (kurz SE für Societas Europaea). Viele deutsche Aktiengesellschaften wie MAN, BASF, Allianz und SAP mit Niederlassungen in mindestens zwei EU-Ländern haben sich in der Vergangenheit in eine SE umgewandelt. Für einen SE-BR besteht keine Mindestanzahl an Beschäftigten.

Mitglieder des EBR wie auch des SE-BR haben das Recht auf bezahlte Freistellung zur Fortbildung, damit sie ihr Amt ordnungsgemäß ausüben können. Zu den Inhalten können Englischkurse, Kenntnisse über die Rechte der Arbeitnehmervertretungen in den Ländern, neue Entwicklungen im europäischen Recht mit Auswirkung auf Unternehmen oder die Aussichten der Branche gehören.

Auf der Tagung wurde die „Hustedter Erklärung“ verabschiedet. Darin fordern die Teilnehmer von der EU-Kommission mehr Rechte für den EBR. So müssen Unternehmen derzeit den EBR bei Entscheidungen mit grenzüberschreitenden Auswirkungen nur informieren – künftig soll eine Stellungnahme des EBR zwingend berücksichtigt werden, damit der EBR in personellen und sozialen Angelegenheiten tatsächliche Mitbestimmungsrechte bekommt. Zudem wird eine Veränderung des Unternehmensrechts gefordert, damit Konzerne nicht durch eine Veränderung ihrer Rechtsform die Mitbestimmung unterlaufen. Immer mehr deutsche Konzerne wandeln sich in eine Europäische Aktiengesellschaft um, um so unter bestimmten Umständen Arbeitnehmervertreter aus dem Aufsichtsrat fernzuhalten.