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Sturm und Drang

Muss sich Bayern Sorgen machen? Borussia Dortmund ist nach dem 4:2 in Leverkusen das Team der Stunde. Das hat viele Gründe

Immer einen Tick besser: Marco Reus springt höher als Leverkusens Kohr Foto: imago

Aus Leverkusen Andreas Morbach

Sein Spielkamerad Sven Bender tobte gerade lautstark – „Ist das eine Scheiße!“ – durch die Flure der BayArena, als Kevin Volland seinen Frust um einiges gemäßigter formulierte. „Wir spielen Kindergartenfußball“, lautete die These des kräftigen Angreifers zum Leverkusener 2:4 gegen Dortmund, dabei waren die richtig jungen Kerle bei den furiosen Siegern eindeutig in der Überzahl: In der Start­elf des BVB standen sechs Spieler, die 23 Jahre oder jünger sind. Die Abwehrkette mit Dan-Axel Zagadou, Abdou Diallo, Manuel Akanji und Achraf Hakimi war im Schnitt sogar knapp unter 21.

Unter diesem Aspekt fühlen sich der Triumph beim Westkonkurrenten und der spektakuläre Run hinauf an die Tabellenspitze gleich noch mal besser an. „Klar bin ich sehr zufrieden. Da waren viele Emotionen mit im Spiel, und wenn man nach einem 0:2 noch 4:2 gewinnt – das ist schon was“, zeigte sich selbst Lucien Favre beeindruckt von seinem stürmischen Ensemble. „Meine Spieler wissen, wie sie eine Mannschaft destabilisieren können. Das geht manchmal tack, tack, tack – mit einem Ballkontakt.“

Mit strahlenden Augen, für seine Verhältnisse geradezu aufgelöst, lief Favre nach Spielschluss über den Rasen zu seinen Spielern. Siegeshungrige Kicker, an denen auch Marco Reus seine helle Freude hatte: In einem vor der Pause noch etwas nachlässigen, unkonzen­trierten und letztlich auch unerfahrenen Team, das folgerichtig zwei Gegentore durch Bayers Abwehrkräfte Mitchell Weiser und Jonathan Tah kassierte, schwang sich der 29-jährige Nationalspieler zum überragenden Akteur auf.

Den Anschlusstreffer durch den Dänen Jacob Bruun Larsen, 20, bereitete Reus mit einem kapitalen Volleyschuss aus kurzer Entfernung vor, den Keeper Lukas Hradecky nach vorne abklatschen ließ. Den Ausgleich erzielte er am Ende eines Hochgeschwindigkeitskonters und nach perfektem Zusammenspiel mit dem eingewechselten Jadon Sancho selbst. Und nach den siegbringenden Treffern von Barcelona-Leihgabe Paco Alcacer sagte er: „Wir haben zwei, drei Leute auf der Bank, die ein Spiel drehen können.“

Das war keine neue Erkenntnis bei den Schwarz-Gelben, bereits fünfmal in dieser Saison wechselte Favre einen späteren Torschützen und ebenfalls fünfmal einen späteren Vorlagengeber ein. Der Sieg in Leverkusen habe ihm noch besser gefallen als das 7:0 gegen Aufsteiger Nürnberg unter der Woche, sagte der 60-jährige Übungsleiter. Zu dem satten Sprung an die Ligaspitze, mit einem Punkt ­Vorsprung auf Dauermeister München und der um sieben Treffer besseren Tordifferenz, erklärte er: „Das ist nichts Besonderes.“

In der Vorsaison reagierten die Bayern auf den ähnlich starken Start des BVB noch fuchsteufelswild, entließen Trainer Carlo Ancelotti und rückten die Fußballverhältnisse im Land unter Jupp Heynckes in Windeseile wieder zurecht. Die Taktik der Borussen lautet deshalb nun: Die Münchner bloß nicht wieder reizen, sondern sie lieber ein wenig einlullen. „Für eine Kampfansage ist es zu früh“, kommentiert Sebastian Kehl, Leiter der Lizenzspielerabteilung. „Wir haben noch Raum nach oben, müssen uns noch verbessern.“Sehr gut umgesetzt hat diese Forderung bereits Reus. Unter Tüftler Favre, der ihn schon zu gemeinsamen Gladbacher Zeiten trainierte, findet der gebürtige Dortmunder zurück in seine Lieblingsrolle. Als Mittelstürmer hing er in der Startphase der Saison erkennbar in der Luft, jetzt erwähnte er längst Bekanntes: „Ich fühle mich wohl auf der Zehn. Davor war ich mal auf der, mal auf der Position, das ist eben ein Prozess unter einem neuen Trainer.“

Zum Einstieg in einen frischen Job gehört auch, ganz profan, die Suche nach einer passenden Unterkunft. Lucien Favre wählte dabei in diesem Sommer eine recht charmante Variante und zog in das Haus des Leverkusener Trainerkollegen Heiko Herrlich in Dortmund. 80 Kilometer südwestlich, an Herrlichs Arbeitsplatz, betrieb Favres Rasselbande in ihrer unwiderstehlichen letzten halben Stunde nun sportlichen Hausfriedensbruch. Finanzielle Folgen muss der dafür verantwortliche Coach aber nicht fürchten. „Die Miete“, versprach Herrlich gütig, „wird nicht erhöht.“

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