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„Mit eiserner Disziplin“

Tibor Rode wollte immer schon schreiben – und wurde Rechtsanwalt. Mit seinen Thrillern wurde er Bestsellerautor, Jurist blieb er trotzdem. Nur Schlaf ist ein Problem

Interview Marco Carini

taz: Wann schlafen Sie, Herr Rode?

Tibor Rode: Wenn, dann nachts. Aber ich komme mit wenig Schlaf aus.

Das muss wohl auch so sein, wenn man einen Fulltime-Job als Rechtsanwalt hat und daneben sehr regelmäßig ziemlich dicke Romane herausbringt.

Und ich habe auch noch eine Familie. Ich versuche, ein guter Familienvater zu sein. Das führt dazu, dass ich an meinen Romanen nachts oder frühmorgens schreibe, wenn andere noch schlafen. Die Frage nach dem Schlaf war dann auch der Impuls für mein neues Buch …

… in der der Protagonist keinen Schlaf findet.

Da ich, wie viele Menschen in der modernen Gesellschaft, am liebsten einen 24-Stunden-Tag hätte, habe ich darüber nachgedacht, ob es wohl ein Fluch oder ein Segen wäre, wenn es wirklich so wäre.

Worum geht es genau in „Morpheus-Gen“, ihrem aktuellen Roman?

Es geht um einen jungen New Yorker Anwalt, der von einem Tag auf den anderen nicht mehr schlafen muss, das zuerst genießt, weil er endlich das tun kann, wozu ihm bislang die Zeit gefehlt hat. Bis er merkt, dass diese Schlaflosigkeit zum Fluch wird. Weil es ein Thriller ist, gerät er unter Mordverdacht und befindet sich plötzlich in einen großen Strudel, in dem alles mit dem Thema Schlaf zu tun hat.

Warum dieses Thema?

Die Welt dreht sich immer schneller. Würden wir nicht schlafen, würden wir noch mehr arbeiten. Schlaf ist nicht mehr salonfähig, Schlaf wird verachtet. Die Elite prahlt damit, sie brauche nur vier Stunden Schlaf. Das ist ein Qualitätskriterium für beruflichen Erfolg und wir bewundern die schlaflose Elite. Man hört wirklich selten von erfolgreichen Langschläfern. Das ist eine ganz schlimme Entwicklung, weil Schlaf etwas ganz Gesundes ist, die letzte Oase der Ruhe. Wir sollten ihn mehr schätzen.

Was sie offenbar selber nicht tun. Sie könnten ein wesentlich schlafreicheres Leben führen. Ist Schreiben eine Besessenheit?

Schreiben erfüllt mich und hat etwas mit positiver Besessenheit zu tun. Es ist meine Leidenschaft und Berufung. Wenn ich nichts schreibe, fühle ich eine gewisse Leere. Nach einer Woche halte ich diesen Zustand nicht mehr aus. Ich habe viele Geschichten in mir, die einfach nach draußen drängen. Ich habe deshalb viele Hüte auf und versuche das alles unter ein Dach zu bekommen.

Wie nimmt Ihre Familie diese berufliche Doppelbelastung auf?

Die beobachtet das manchmal mit Sorge. Ich versuche, sie so gut wie möglich einzubinden, nehme sie in abwechselnder Besetzung auf Lesereise mit und binde sie in den Prozess des Schreibens mit ein.

Der Wunsch zu schreiben hat Sie Ihr Leben lang begleitet. Bereits mit zwölf Jahren haben Sie an einem Kurs für kreatives Schreiben teilgenommen.

Es gab in den Hamburger Schulen eine spezielle Talentförderung für Schüler, die gerne und gut schrieben. Da wurde ich – obwohl offiziell noch zu jung – ausgewählt und habe mitgemacht. Wir haben uns an der Hamburger Universität getroffen, haben Autoren kennengelernt und Schreibübungen gemacht. Da habe ich erkannt, dass ich etwas mit Wörtern machen muss, wenn ich mal groß bin.

Das waren dann aber Schriftsätze und Plädoyers: Sie studierten Jura und wurden Rechtsanwalt.

Mit 17 habe ich für Wochenblätter als Journalist gearbeitet, bin über Stadtfeste und politische Veranstaltungen gezogen. Ich fand den Beruf des Journalisten ganz spannend. Ich habe aber gleichzeitig angefangen, mich für die Juristerei zu interessieren, denn auch die hat damit zu tun, Menschen mit Worten zu überzeugen.

Der Traum, Literatur zu verfassen, blieb?

Ich habe immer den Wunsch in mir getragen, einen großen Roman zu ­schreiben. Ich habe viele Ideen und Geschichten in mir, die einfach nach draußen drängen. 2004 war es dann so weit: Da habe ich meiner Frau gesagt: Diese Ferien verbringen wir in Kassel!

Ein ungewöhnliches Urlaubsziel.

Meine Frau war auch etwas verwundert. Ich habe ihr gesagt, da wird mein Buch spielen. Sie fragte: welches Buch?

Sommerferien in Kassel statt auf Kreta – Ihre Frau scheint mir sehr tapfer zu sein.

Ich rechne ihr hoch an, dass sie sich darauf eingelassen und meinen Traum mit mir gelebt hat. Dann habe ich in Kassel recherchiert, aber es hat noch neun Jahre gedauert, bis das Buch dazu erschienen ist.

Wie bleibt man da am Ball?

Fast jeder Autor erlebt am Anfang lange Durststrecken. Irgendwann war das Manuskript veröffentlichungsreif und ich musste die Erfahrung machen, dass die Verlage leider gar nicht darauf gewartet haben, dass ich nun endlich mein erstes Werk fertig habe. Das war frustrierend. Es hat sich wie ein Lotteriegewinn angefühlt, als ich endlich einen Verlag gefunden hatte, der es veröffentlichen wollte. Als das, was bislang nur in meinem Computer war, dann gedruckt und mit schönem Einband im Buchladen stand, war das einer der schönsten Momente meines Lebens.

Heute wartet Ihr Verlag, kaum haben Sie einen Roman veröffentlicht, schon auf den nächsten. Es gibt Abgabefristen, Verträge und viel Druck.

Wenn die Veröffentlichung vertraglich vereinbart ist, ist das ist eine ganz andere Motivationslage. Ich gehe mit anderem Elan in die Arbeit . Außerdem geht es von Roman zu Roman leichter, so ein Werk zu beherrschen.

Wie funktioniert Ihr Zeitmanagement?

Mit eiserner Disziplin. Ich musste erst lernen, damit zu leben, dass ich Erwartungen und Verpflichtungen erfüllen muss. Wenn man jeden Tag zwei Seiten schreibt und das auch durchzieht, kommt man in einem Jahr auf 700 Seiten und damit deutlich mehr, als in ein Buch passt. Ich versuche immer am Ball zu bleiben, egal wie uninspiriert oder müde ich mich fühle. Und ich schreibe so viel wie möglich in der dunklen Jahreszeit, um in der hellen noch mal rauszukommen.

Welche Inspirationen benötigen Sie?

Am Anfang dachte ich: Ich brauche ein besonders schönes Laptop, ein Fenster und dahinter einen See, nur dann kann ich schreiben. Das stimmt nicht. Ich kann zu jeder Tageszeit an jedem Ort schreiben. Das Einzige, was ich zum Schreiben brauche, ist klassische Musik, die ich sonst nie höre.

Wie sieht ihr Arbeitsplatz aus?

Ich habe zuerst am Küchentisch geschrieben, mit Funkkopfhörern auf den Ohren, dann wussten die Kinder und meine Frau: Wenn Papa den Kopfhörer auf dem Kopf hat, lieber nicht ansprechen! Nach dem ersten Roman habe ich den Dachboden umgebaut und mir ein Arbeitszimmer eingerichtet. Doch da war es mir zu ruhig und abgeschieden. Heute sitze ich wieder mit Kopfhörern am Esstisch, vor mir das Laptop, auf dem Schoß den Hund und die Kinder um mich herum. Ich muss mittendrin sein.

Ihre Romane sind gespickt mit religiösen Verschwörungen und historischen Mysterien, ähnlich denen von Dan Brown.

Meine Bücher werden immer wieder mit denen von Dan Brown verglichen. Ich kümmere mich um angebliche Verschwörungen, aber bei mir geht es stärker um die Verschwörung des Alltags. Mich faszinieren alltägliche Dinge wie Energie, Schönheit und Schlaf, die gleichzeitig große Mysterien sind, die wissenschaftlich nicht komplett aufgearbeitet sind und die Menschen seit Jahrhunderten beschäftigen. An Dan Brown mag ich, dass er Menschen Kultur auf unterhaltsame Art und Weise nahebringt. Auch bei mir geht man mal, ohne dass man es merkt, mit meinem Hauptdarsteller ins Museum.

Warum wählen Sie bevorzugt historische Themen?

Tibor Rode, 44, arbeitet als Rechtsanwalt und Partner einer Sozietät in Pinneberg, wo er auch mit seiner Frau und seinen beiden Töchtern lebt. Sein Roman-Debüt „Das Rad der Ewigkeit“ erschien 2013, es folgten die Thriller „Das Los“ und „Das Mona Lisa Virus“, das in zwölf Ländern veröffentlicht wurde. Vor wenigen Wochen erschien das „Das Morpheus-Gen“.

Es gibt immer eine historische und eine aktuelle Ebene, die ich zu einer Geschichte verknüpfe. Mich fasziniert es, dass wir in verschiedenen Jahrhunderten ganz ähnliche Probleme haben und uns dieselben Fragen stellen – wie die Vergangenheit bis in die Gegenwart hineinwirkt.

Wir nähern Sie sich einer historischen Epoche oder der Lebenswelt, die Sie beschreiben wollen?

Ich beginne mit Lesen, Sekundärliteratur, Kunstbücher, antiquarische Bücher, durchforste Online-Bibliotheken und nutze Google-Maps. Ich liebe Recherchereisen. Gerade war ich in Mecklenburg-Vorpommern und für das „Morpheus-Gen“ war ich eine Woche in Tschechien unterwegs. Dieses Einsaugen ist eine der schönsten Phasen des Schreibprozesses. Und wenn man schreibt kommt das alles wieder raus.

Könnten Sie vom Schreiben leben?

Inzwischen schon. Aber mein Beruf als Rechtsanwalt macht mir so viel Spaß, dass ich ihn niemals aufgeben würde.

Und wenn Sie sich zwischen beiden Berufen entscheiden müssten?

Ich könnte mich nicht entscheiden. Ich stehe genau dazwischen. Was immer ich auch unterließe, es würde mir sehr schnell fehlen.

Nun sind Sie auf Thriller abonniert. Würden Sie sich auch gern mal in einem anderen Genre ausprobieren?

Wie fast jeder Autor frage ich mich: Könnte ich auch etwas anderes ­schreiben? Mich würde es auch reizen, Jugendbücher zu machen. Meine Kinder haben mir das Versprechen abgenommen, dass ich irgendwann mal ein Buch für sie schreibe, und je nachdem wann ich das schaffe, muss es ein Jugendbuch werden. Sie sind schon Tee­nager, ich muss mich also ranhalten!

Hat dieser Schreibprozess Sie verändert? Seit sechs, sieben Jahren haben Sie einen anderen Alltag und andere Themen, die Sie beschäftigen.

Ich gehe mit offeneren Augen durch die Welt und bin disziplinierter geworden. Ich bin breiter interessiert, weil ich ständig nach Stoffen und Themen suche. Ich war in vielen Museen und interessiere mich kulturell. Das ist ein guter Gegenpol zu meiner juristischen Arbeit.

Sie haben das erste Ziel – das große Werk – erreicht, auch das Ziel im Markt zu sein – was ist an Zielen auf dieser Strecke noch übrig?

Nach dem Buch ist vor dem Buch. Immer wenn ich einen neuen Roman anfange, bin ich der festen Meinung, das sei nun die spannendste Geschichte, die ich je erzählt habe und kann mich da so richtig reinfiebern. Das treibt mich. Mein aktuelles Buch erschien in Ländern, in denen ich noch nie war. Ich habe die koreanische Ausgabe zu Hause, kann sie natürlich nicht lesen. Dass es mein Roman ist, sehe ich nur an einem: Mein Foto ist auf dem Umschlag.

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