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Gitarren und Degen

Mit Augen und Körper auf Empfangsstation: In der Ausstellung „E-Werk“ von der Berliner MalerinKerstin Drechsel in der Galerie Zwinger verbindet sich die Malerei suggestiv mit den Objekten

Detail der Box „E_4“ von Kerstin Drechsel Foto: Galerie Zwinger

Von Katrin Bettina Müller

Mein altes Porzellan im Schrank, es kommt von meiner Großmutter, noch im 19. Jahrhundert geboren. Es ist rosa und blau bemalt, idyllische Landschaften, Italiensehnsucht. Mehrere Generationen haben es in den Händen gehabt. Frauen sind darauf eigentlich nur als Betrachterinnen der Landschaft zu sehen.

In diesen Farbtönen des alten Porzellans hat Kerstin Drechsel hölzerne Kästen bemalt, ungefähr hüfthoch und auf metallenen Beinen. Bei ihr sind alle Frauen Handelnde. Die Kästen bilden in der Galerie Zwinger ein geheimnisvolles Ensemble, denn um in das Innere zu schauen, muss man den Galeristen bitten, den Deckel hochzuklappen. Die Kisten stammen aus der Elektrotechnik und sind gesammelte Fundstücke. Von der Größe her erinnern sie auch an altmodische Nachttischchen.

Die Szenen, die Drechsel auf die Seiten, den Deckel und auch in das Innere der Kästen gemalt hat, erzählen ebenfalls eine generationsübergreifende Geschichte. Es sind die Protagonistinnen einer frauenbewegten Geschichte, die sie in dieses Ambiente bannt. Man sieht Suffragetten mit Stühlen in der Hand, die gleich als Wurfgeschosse dienen können, man sieht Boxerinnen in altmodischer Sportkleidung, andere tänzeln mit Gewehren und Degen in der Hand. Wildwestmädchen sind darunter ebenso wie Mädchen mit Gitarren. Andere haben ein Megafon und ein Mikro parat und Demo-Schilder mit der Frauenpowerfaust. Viele der Szenen sind symmetrisch gespiegelt, was den kämpferischen Duktus in eine ornamentale Struktur bannt. Nicht nur die Farben erinnern hier an Porzellan.

Kerstin Drechsel, 1966 geboren, hat in Berliner Galerien schon oft ausgestellt, bei September und Laura Mars. Fast immer widmet sie sich Frauen und Ordnungen des Intimen. Die Figurationen und die Formen des Malerischen, die sich auch da, wo sie mit Ölfarbe malt, an der Offenheit und Flüchtigkeit des Aquarells orientieren, bilden dabei zwei Stimmen, die sich zu einer Melodie verdichten. Der Blick auf Freundinnen, auf rauchende Frauen, in Gesichter, auf Körperteile suggeriert oft eine Stimmung der Anbahnung, der Zärtlichkeit, ohne ins Spektakuläre zu verfallen.

Man sieht Suffragetten mit Stühlen in der Hand und Boxerinnen

„E-Werk“ heißt ihre Ausstellung in der Galerie Zwinger, in der sich die Malerei suggestiv mit den Objekten verbindet. Aus den Kästen wuchern dick wie Baustromkabel Schläuche aus textilen Materialien, wie von T-Shirts und Unterhemden. In einer Ecke zusammengerollt erinnern sie an Feuerwehrschläuche und Kabeltrommeln, aus den Kästen baumelnd aber auch an die verkabelten Körper von Patienten im Krankenhaus. Die Kästen selbst haben auch etwas von einem anatomischen Theater, mit einem Blick in das eigentlich verborgene Körperinnere. Auf den Deckeln spiegeln sich im Kreis gebaute Mauern, sie gehen zurück auf die Tempelreste für eine Muttergottheit auf Malta. Auch wenn man erkennt, dass es sich um eine gebaute Anlage handelt, ist doch die Anmutung von Knochen und Skelett stark, als würde man die Knochen eines Beckens vor sich liegen sehen.

So verbinden sich im „E-Werk“ ständig Bilder einer Geschichte, die die öffentliche Bühne brauchte, um mit ihren Protesten gegen den Ausschluss von Frauen gehört werden zu können, mit Szenarien des Inneren, des Rückzugs in private Räume, des Erkundens von körperlichen Eigenschaften. Als ob man die Ablagerungen einer langen Geschichte in den körpereigenen Zellen aufspüren wollte.

Das Erzählen geht in dieser Ausstellung verschiedene Wege, es ist unterhaltsam, assoziationsreich, verführerisch, unheimlich auch. Das Sehen und Erkennen wird angesprochen, das sich Erinnern und das Fantasieren, über die Augen aber auch über körperlichen Empfindungen, die von den Objekten aufgerufen werden. Nicht von ungefähr erinnern die Kästen auch an kleine Bühnen. Die Malerei selbst spielt hier Theater.

Galerie Zwinger, Di.–Sa. 12–18 Uhr, bis 3. November

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