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Kochlöffel weg

In zahlreichen Mails berichten taz-Leser*innen von Belastungen durch unnötigen Motorrad- und Autolärm. Manche sprechen von „Terror “, andere ziehen weg

Die beiden haben Spaß: Bikerinnen in Neu­hardenberg in Brandenburg auf einem wohl nicht leisen Motorrad Foto: Stefanie Loos/reuters

Von Jost Maurin

Jürgen Klozenbücher suchte Ruhe, als er vor einigen Jahren von der Stadt aufs Land zog. Er fand: Motorradlärm. Oft donnerten Hunderte von Motorrädern 150 Meter entfernt von seinem Garten im baden-württembergischen Dorf Althütte vorbei, sagt Klozenbücher. „Wir müssen nun feststellen, dass es an warmen Wochenenden auf dem Land viel lauter ist als in der Stadt. Die Leute fahren aufs Land, um der Natur näher zu sein und verschmutzen sie mit Lärm – unfassbar!“

Klozenbücher ist einer von bisher rund 80 Betroffenen, die dem taz-Aufruf von Anfang August zur Meldung von Protesten gegen Lärm durch Motorräder und unnötig laute Autos gefolgt sind. Vor allem wegen dieser Leserhinweise und aufgrund weiterer Recherchen ist die taz-Karte mit den betroffenen Orten (www.taz.de/kfzlaerm) in Deutschland von 170 auf etwa 260 Einträge gewachsen. Das Problem ist also verbreiteter als bislang bekannt.

Umfragen zufolge fühlt sich mehr als die Hälfte der Bevölkerung durch Straßenverkehrslärm gestört oder belästigt. Dabei können chronische Lärmbelastungen Herz-Kreislauf-Erkrankungen wie Schlaganfälle verursachen, warnt das bundeseigene Robert-Koch-Institut.

Die zahlreichen E-Mails an die taz zeugen davon, wie verzweifelt viele Menschen wegen des Lärms sind. „Ganz schlimm“, „unerträglich“, „eine Qual“, „kaum auszuhalten“, „Lärmterror“ sind nur einige Zitate von Betroffenen. „Wir fallen seit fünf Jahren gerade in der Einschlafphase fast aus dem Bett von dem Lärm“, klagt ein Berliner.

„Wegziehen kann ich nicht, weil ich das Haus geerbt habe und ich mir Vergleichbares in ruhigerer Lage nicht leisten kann“, schreibt eine Betroffene. „Diese Lärmbelästigung ist besonders schlimm, weil sie natürlich hauptsächlich in der warmen Jahreszeit auftritt, wenn man aufgrund der Temperaturen die Fenster offen hat“, ein anderer. Ein taz-Abonnent berichtet, er habe ein Ferienhaus in einer belasteten Region gekauft. „Dort können Sie an Wochenenden und Feiertagen nicht im Garten sitzen. Da fliegt Ihnen der Kochlöffel weg“ – bei 84 Motorrädern pro Stunde „und alle aufgeschraubt – volles Rohr“. Seine Konsequenz: „Das Haus habe ich zum Glück wieder verkaufen können – im Winter.“

Mehrere Leser weisen darauf hin, dass der Lärm oft auch mit überhöhten Geschwindigkeiten und Unfällen einhergehe. Ein Lärmgeplagter war sogar schon selbst einmal Ersthelfer bei einem Unglück: „Da hatte sich ein Motorradfahrer ein Bein unter der Leitplanke abgeschlagen. Davon träume ich regelmäßig seit zehn Jahren. So ein Traum geht nie weg.“ Die Strecke am Feldberg im Taunus werde ob der vielen Kreuze für Unfallopfer schon „Death Valley“ genannt.

Die meisten Autoren der Mails fühlen sich allein gelassen von den Behörden. „Ein einziges Lärmereignis in der Nacht beendet für viele Leute den erholsamen Schlaf, kann also schon gesundheitsgefährdend sein“, schreibt ein Brandenburger. Das würden die Ämter aber nicht berücksichtigen, wenn sie die Lärmbelastung bewerten. Ein Bayer berichtete, die Einwohner der Dörfer im Wiesenttal in der Fränkischen Schweiz „haben schon lange resigniert“. Ein anderer: „Die Polizei hat zwar Unterstützung zugesagt, allerdings dauert es eine Weile, bis ein Streifenwagen erscheint, und dann ist die Wirkung nur sehr kurzfristig. Die Heizer sind mit Handy eben auch gut vernetzt.“

Besonders wütend sind viele, weil sie Motorradlärm anders als beispielsweise Belastungen durch Lastwagen für unnötig halten. Motorradfahren diene „nur dem egoistischen Spaß einer immer größer werdenden Menge von rücksichtslosen, abenteuerliebenden Menschen“, schreibt ein Leser aus Unterfranken. „Eine kleine Minderheit ‚terrorisiert‘ aus ziemlich niedrigen Gründen eine große Menge anderer Menschen“, kritisiert ein weiterer.

„Wie kann der Staat solche Lärm-Maschinen zulassen, während ganze Forscherteams versuchten und auch erreicht haben, dass PKWs heute im Normalfall kaum noch zu hören sind?!“, fragt der Betroffene aus Unterfranken. Ein anderer Leser kritisiert, dass das Kraftfahrtbundesamt nicht gegen das Problem vorgehe.

Ein Leser aus Brandenburg

Die taz hat auch Kritik an der Berichterstattung erreicht. „Tendenziell kommt bei mir persönlich der Ruf nach Ruhe schlecht an. Jede Demo ist eine Ruhestörung – und das ist gut so“, mailte ein Kommunalpolitiker. Mehrere Motorradfahrer kritisierten, alle Biker würden in einen Topf geworfen, obwohl doch nicht alle Austausch-Auspuffanlagen hätten, die oft besonders laut sind. Allerdings konstruieren BMW und andere Konzerne sehr wohl serienmäßige Motorräder oder Autos so, dass sie lauter sind als zum Fahren nötig. Die Unternehmen hatten der taz bestätigt, dass sie in den Auspuff mehrerer Modelle Klappen einbauen. Diese verringern den Lärm bei den im amtlichen Zulassungstest geprüften Motordrehzahlen. Insbesondere bei höheren Geschwindigkeiten sind die Fahrzeuge aber lauter.

Der Trick mit den Klappen funktio­niert, weil die Geräuschemissionen bei der Zulassung durch die Behörden nur bei ungefähr 50 Kilometern pro Stunde gemessen werden. Zusätzlich müssen die Hersteller­ zwar erklären, dass Fahrzeugtypen die Grenzwerte bei Geschwindigkeiten von 20 bis 80 Stundenkilometern einhalten; aber in den Vorschriften für die Motorradzulassung steht noch nicht einmal, dass die Modelle diesen Lärmtest auch absolvieren müssen.

Das Umweltbundesamt fordert, dass die EU Lärmgrenzwerte für Geschwindigkeiten über 80 Kilometer pro Stunde sowie für alle Motordrehzahlen festlegt. Bisher hat die EU-Kommission aber keinen entsprechenden Verordnungsentwurf präsentiert.

Kennen Sie Orte, wo es Proteste gegen unnötigen Motorrad- und Autolärm gibt, die auf unserer Karte fehlen? Dann schicken Sie eine möglichst genaue Ortsangabe, Postleitzahl und Quelle (zum Beispiel den Link zu einem Medienartikel) an kfzlaerm@taz.de.

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