: Vier Elemente, kein Dialog
Mit neuer Band und neuem Sound stellt Sophie Hunger an sechs Abenden und an sechs Orten in Berlin ihr neues Album „Molecules“ vor. Ein Gespräch über ein seltsames Tourkonzept, kreative Beschränkungen und die kleinsten Teilchen von Emotionen
Von Julia Lorenz
taz: Frau Hunger, Ihr aktuelles Tourkonzept ist ziemlich seltsam. Sie spielen in allen Städten jeweils an mehreren Abenden hintereinander, in Berlin sogar sechsmal. Warum?
Sophie Hunger: Erstens finde ich es einfach lustig. Wenn du darüber nachdenkst, was die umständlichste, unsinnigste Art wäre, Konzerte zu geben, würdest du es so machen. Das gefällt mir. Und dann gibt es noch einen sportlichen Aspekt. Ich habe eine neue Band, neue Musik, und wir brauchen etwas Spielpraxis. Wie bei einer Fußballmannschaft, die neue Spieler hat. Da muss man gucken, wie die Laufwege sind.
Man hört, Sie hätten seit ihrem Umzug nach Berlin die Clubszene für sich entdeckt. Was ist so toll am Feiern in Berlin?
Wenn ich mir die Kulturszene anschaue, dann hat diese Stadt im Vergleich zu London oder Paris noch ein bisschen Widerstandskraft, es haben noch nicht alle vor dem Ultrakapitalismus kapituliert. Wir müssen nicht effizient und produktiv sein, wir müssen nicht immer einen logischen Sinn ergeben. Das ist fast schon gelebte Systemkritik und gibt mir Geborgenheit. Manche Leute sagen, in Berlin arbeitet keiner richtig, aber für mich ist das nicht unbedingt Faulheit, sondern eine Ansage.
Klingt herrlich, aber viele in der Stadt würden wohl sagen: Das war einmal.
Es gibt bestimmte Orte, an denen man diesen Geist noch stark spürt. Zum Beispiel am Theater, aber eigentlich auch auf der Straße oder in der Musikbranche. Man darf hier ungestört scheitern, das hat ein Potential.
Ihr Sound hat sich seit Ihrem letzten Album „Supermoon“ stark verändert, ist technoider geworden. Wie kam das?
Ich war in Amerika und habe eine Schule besucht, in der ich viel über softwarebasierte Aufnahmetechniken gelernt habe. „Molecules“ ist fast komplett am Computer entstanden, aber mit sehr vielen Regeln. Früher habe ich sehr frei gearbeitet, ein Lied auf Schweizerdeutsch, ein anderes auf Französisch gesungen, jetzt habe ich mich eingeschränkt. Nur Englisch, nur vier Elemente, Drumcomputer, Synthesizer, Gesang, Gitarre. Kein Dialog. Ich wollte möglichst weltfremd und isoliert klingen, also eigentlich so, wie man gar nicht sein will.
Sie wollten sich also bewusst kreativ beschränken?
Ja, den Ansatz fand ich lustig. Auch, weil ich mich gefragt habe, ob ich das kann. Ich wollte mich ein bisschen auflaufen sehen.
Im Privaten hatten Sie in den letzten Jahren mit einer schlimmen Trennung zu kämpfen, zugleich hat sich die politische Lage in der Welt immer weiter zugespitzt. Kann man Herz- und Weltschmerz vergleichen?
Wir Menschen überschätzen uns leicht. Am Ende sind wir ziemlich beschränkt und oft Opfer unserer eigenen Projektionen. Wenn man selbst in einem fragilen Zustand ist, nimmt man die Fragilität um sich herum wesentlich stärker wahr. Ganz krass sieht man das in der mittelalterlichen Literatur, wenn es da dem großen König am Kopf juckt, sterben selbst die Fische im Teich. Ganz so schlimm war es bei mir nicht, aber beide Formen von Schmerz haben sich schon bedingt.
Es gab ja auch genug Anlässe, um an der Welt zu verzweifeln.
Ja, aber wir können uns auch nicht für sieben Milliarden Wesen verantwortlich fühlen. Wenn wir ehrlich sind, finden wir ja manchmal schon unseren Nachbarn doof. Es ist eine Anmaßung, zu glauben, man müsse die Last der Weltgemeinschaft auf seinen Schultern tragen.
Stimmt es, dass „She Makes President“ Ihre Reaktion darauf ist, dass bei der US-Präsidentschaftswahl viele Frauen Trump gewählt haben?
Nein, als ich den Song schrieb, war Trump noch nicht gewählt. Eigentlich wollte ich ein großes Liebeslied an die Frau der Gegenwart schreiben. Eine Gegenwart, in der Frauen nicht nur Kinder, sondern auch Macht bekommen können. In der ersten Version war der Song ein Uptempo-Stück, fast schon fröhlich. Aber nach Trumps Wahl dachte ich mir: Okay, vielleicht passt diese Vision doch nicht in die Gegenwart, eher in die Zukunft. Und dann habe ich den Song ganz dunkel und bösartig gestaltet. Es sollte klingen wie ein … Wie heißt gleich noch das Ding, mit dem man Beton teilt?
Schlagbohrer?
Genau, wie ein Schlagbohrer. Vorher klang der Song wie ein Reh auf Speed, danach wie ein Schlagbohrer.
Was hat es eigentlich mit Ihrem Interesse an Molekülen auf sich? Im Albumtitel, aber eigentlich auf der gesamten Platte verweisen Sie immer wieder auf kleinste Teilchen.
Ich fand das Thema interessant. In der Schweiz gibt es ja das Cern, diese Forschungseinrichtung …
Mit dem Teilchenbeschleuniger, vor dem sich vor zehn Jahren alle gefürchtet haben, weil er ein schwarzes Loch erzeugen könnte.
Genau, auf einmal hatten alle Angst, und die Weltherrschaft war in der Schweiz konzentriert, das war lustig (lacht). Jedenfalls finde ich es sehr angenehm, mir die Welt physikalisch zu erklären, auch als Kontrast zu meinem Beruf, der ja viel mit Emotionen, Übertreibung und Fantasie zu tun hat. Mir hilft diese Sicht, um Gefühle besser auszuhalten. Und ich dachte, dieses physikalische Vokabular ist zeitgemäßer als Bäume und Vögel, Blut und Tränen, so à la Eichendorff. Man muss die Gegenwart, die Welt, in der wir uns bewegen, ja auch in Worten abbilden.
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