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Auf Stühlen gebettet

Geflüchtete müssen im Lampedusa-Zelt neuerdings auf Sitzmöbeln übernachten. Die Polizei hat ihre Schlafsachen sichergestellt, weil sie gegen Behördenauflagen verstoßen

Von Marthe Ruddat

Eine Matratze, ein Schlafsack, Isomatten, Decken und ein Kissen. Das ist die Ausbeute einer Razzia, die die Hamburger Polizei am Donnerstagmorgen beim Infozelt der Lampedusa-Gruppe durchgeführt hat. Grundlage der Aktion waren von der Versammlungsbehörde erteilte Auflagen.

Seit fünf Jahren steht das Zelt bereits am Steindamm, gleich neben dem Hauptbahnhof. Dort können sich Bürger*innen über den Protest informieren und es ist Treffpunkt der Lampedusa-Gruppe. Gelegentlich übernachten dort obdachlose Geflüchtete.

Die Versammlungsbehörde genehmigte das Zelt als Dauermahnwache, bisher völlig ohne Auflagen. Mit einem Bescheid vom 31. August stellt die Behörde nun plötzlich Bedingungen. Der Dienstweg zwischen Anordnung und Überprüfung der Einhaltung durch die Polizei war dabei denkbar kurz, in Hamburg ist die Versammlungsbehörde Teil der Polizei.

In dem neuen Bescheid heißt es unter anderem, dass eine „Infrastruktur zum Schlafen“ in dem Zelt nicht erlaubt sei. Die Polizei begründet dies damit, dass in der Vergangenheit wiederholt eine „zweckfremde Nutzung des Zeltes“ festgestellt worden sei. Diese solle in der Zukunft ausgeschlossen werden. Deshalb wurden die Schlafsachen mitgenommen. Wer schläft, der demonstriert aus Sicht der Behörde offenbar nicht.

Für die Geflüchteten vor Ort kam die Aktion am Donnerstag überraschend, wie Ali Ahmed, der Sprecher der Lampedusa-Gruppe, sagt. Es gab zwar in der Vergangenheit immer wieder Überprüfungen durch die Polizei, Gegenstände wurden aber bisher nicht sichergestellt.

„Es wird versucht, den politischen Protest zu unterbinden“, bewertet Lukas Theune die plötzlichen Auflagen. Er ist der Rechtsanwalt des Demoanmelders. Dennoch sei die Aktion vom Donnerstag rechtmäßig gewesen. Die Auflagen seien gültig, solange kein Widerspruch dagegen eingelegt werde, so Theune. Das sei in diesem Fall noch nicht geschehen, aber noch nicht ausgeschlossen.

Eine weitere Behördenauflage beschäftigt hingegen bereits das Verwaltungsgericht. Mit dem neuen Bescheid hatte die Versammlungsbehörde angeordnet, dass das Zelt zu einem Pavillon zurückzubauen sei. Es muss demnach an zwei Seiten offen sein. Für die Organisatoren der Dauermahnwache nicht hinnehmbar. Die Geflüchteten wären dadurch weitgehend ungeschützt vor Übergriffen, sagt Martin Dolzer, justizpolitischer Sprecher der Linksfraktion in der Hamburger Bürgerschaft. Er ist der Anmelder der Dauerkundgebung.

„Gerade in letzter Zeit werden die afrikanischen Geflüchteten immer öfter angepöbelt und verbal bedroht“

Martin Dolzer, justizpolitischer Sprecher der Linksfraktion

„Gerade in letzter Zeit werden die afrikanischen Geflüchteten immer öfter angepöbelt und verbal bedroht“, so Dolzer. Das geschlossene Zelt sei eine Form des Protests und symbolisiere die Unterbringungssituation von Geflüchteten weltweit, begründet Anwalt Theune seinen Widerspruch. Wegen des noch laufenden Verfahrens beim Verwaltungsgericht wollte sich die Polizei zu den Hintergründen der Anordnung nicht äußern. Aus demselben Grund wurden bisher keine Zeltwände sichergestellt.

Neuerdings besteht die Versammlungsbehörde auch darauf, dass stets ein Versammlungsleiter vor Ort sein muss. Am Donnerstag war das nach Polizeiangaben zunächst nicht der Fall, aber noch während der Aktion sei ein Versammlungsleiter erschienen. Er sei einer von vielen, anders sei eine dauerhafte Kundgebung nicht zu leiten, sagt Dolzer.

Die Besitzer der Schlafsachen können ihre Habseligkeiten bei der zuständigen Polizeidienststelle abholen, wenn sie nachweisen können, dass sie die rechtmäßigen Eigentümer sind. Ob sie das tun, war bis Redaktionsschluss noch nicht entschieden. Freitagnacht hätten drei Geflüchtete auf Stühlen verbracht, sagt Ali Ahmed. Völlig legal, denn die Behörde erlaubt das Aufstellen von Stühlen und einem Tisch.

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