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Frösche

Die lustige Tierwelt und ihre ernste Erforschung. Sie verrichteten massenhaft ihren Dienst für die Wissenschaft, ihre Anmut und Eleganz kann begeistern. Grund genug für einen tiefen Blick ins sumpfige Wasser, wo sie gerne leben:

Von Helmut Höge

Der Psychoanalytiker Jacques Lacan reiste kurz vor seinem Tod 1981 nach Caracas. Von dort schrieb er einen Brief an seine Ecole Freudien de Paris, in dem er sie für aufgelöst erklärte. Ferner behauptete er darin, dass die Frösche eine große Eleganz bei der Paarung zeigen, die Menschen dagegen nicht, und das sei doch wohl das wesentliche Problem, mit dem die Psychoanalyse es zu tun habe. Den Zeichner Tomi Ungerer inspirierte dieser Gedanke 1982 zu einer Bildserie: „Das Kamasutra der Frösche“.

Der US-Biologe Bernd Heinrich entdeckte bei den Fröschen ebenfalls eine gewisse „Eleganz“, er meint damit allerdings (in: „Der Heimatinstinkt“ 2016) die Fähigkeit eines asiatischen „Ruderfrosches“, in „unwirtlichen Orten“ mit kaum mehr als seinen schaumig getretenen „Sekreten“ ein Heim zu bauen, „in dem er seine Kaulquappen großzieht“. Hier tritt die „Eleganz“ nach der Paarung und bei einem männlichen Tier in Erscheinung.

Bei den grellroten Bromelienfröschen sind es die Weibchen, die sich sehr extravagant verhalten, um ein paar Kaulquappen groß zu ziehen: Sie legen ihre Eier auf den feuchten Boden, lassen sie von einem Männchen befruchten und tragen sie dann einzeln bis zu 20 Meter hoch auf einen Baum zu einer dort aufsitzenden Bromelie. In deren halbröhrenförmigen Blättern, die mit Regenwasser gefüllt sind, setzen sie ihre Brut ab. Anschließend müssen sie einige Wochen lang den Baum rauf und runter krabbeln, um unten Nahrung für sich zu finden und oben, um die Kaulquappen mit ihren unbefruchteten Eiern zu ernähren. Für die Bromelie fällt dabei deren Kot ab, der für sie wichtige Nährsalze enthält. Für den Ökologen Josef Reichholf ist dies eine extrem komplizierte „Symbiose“, die er in seinem gleichnamigen Buch über „Das erstaunliche Miteinander in der Natur“ (2017) beschrieb.

Aber die Frösche können es noch viel komplizierter: Wenn zwei Teichfrösche sich paaren, geht daraus ein Seefrosch hervor, um aber Teichfrösche zu erzeugen, muss sich ein Seefrosch mit einem Wasserfrosch paaren. Der daraus entstehende Teichfrosch hat jedoch laut dem Biologen Lutz Dröscher „kein eigenes Erbgut“, dafür kann er sich mit Seefröschen ebenso wie mit Wasserfröschen paaren – und daraus entstehen dann Teichfrösche. Dieser „verwickeltste aller Zeugungsakte“ trug ihnen die Bezeichnung „Sexualparasiten“ ein, die Froschforscher nennen sie „Rana kl. Esculenta“, wobei „kl“ für Klepton (Dieb) steht.

In Fontainebleau entdeckten die Biologen Jean Daniel Graf und Manuel Polls Pelaz eine Frosch­art, die nur aus Männchen besteht. Sie haben die Fähigkeit, die Verteilung ihres „Erbguts zu manipulieren“, wie Dröscher in einem seiner „Sonderberichte aus der Tierwelt“ (1992) erklärte. Die Froschmännchen paaren sich ganz normal mit Teich- und Seefroschweibchen, aber die Geschlechter der daraus entstehenden Frösche sind nicht gleich verteilt: Aus den Eiern schlüpfen „ausnahmslos männliche Frösche“. Die Weibchen der fremden Arten „werden also als Produktionsmittel für reine Männchenserien ausgenutzt. So bleibt diese männliche Un-Art erhalten.“

Es geht auch anders – stellten chinesische Biologen fest: Das Abbauprodukt DHT des Hormons Testosteron, das von Bodybuildern eingenommen wird, um ihr Muskelwachstum zu forcieren, bewirkt, wenn es mit ihrem Urin in Flüsse und Seen gelangt, dass „Froschweibchen vermännlichen“, wie Die Welt 2015 berichtete. Der Philosoph Bernd Hüppauf hat sich in seiner umfangreichen „Kulturgeschichte ‚Vom Frosch‘“ (2011) nicht um die Vermehrung, sondern um die Vernichtung von Fröschen besorgt. Er steht den „Human-Animal-Studies“ nahe, hat als Jugendlicher Frösche beobachtet und einmal sogar einen seziert. In seinem Buch geht er dem Umgang mit Fröschen in verschiedenen Kulturen nach. Mit dem Christentum wurden sie erst als Verkörperung des Bösen angesehen, wobei man Frösche und Kröten nicht groß unterschied, und dann von der Wissenschaft zu Millionen vernutzt. Als Luigi Galvani bei Versuchen mit Froschschenkeln entdeckte, dass die großen Muskeln auf Elektrizität reagieren, drang das Fröschetöten bis in die Wohnungen des Bürgertums vor. Alexander von Humboldt sprach von einem „Blutbad“, das dabei unter den Fröschen angerichtet werde. „Der Frosch war das beliebteste Labortier im 19.Jahrhundert“, so Hüppauf. In Russland und später in der Sowjetunion war es üblich, die Schuljugend in die Naturwissenschaft einzuführen, indem man sie einen Frosch auseinandernehmen ließ. Bereits in Iwan Turgenjews Roman über den Nihilismus der Jugend, „Väter und Söhne“ (1862), seziert der Held Basarow laufend Frösche. Judith Schalanskys „Bildungsroman: Der Hals der Giraffe“ (2015) handelt von einer Biologielehrerin in Greifswald. Sie war zwar nach der Wende von Schulinspektoren aus dem Westen positiv evaluiert worden, aber man hatte ihr nahegelegt, den Unterricht „wirklichkeitsnäher“ zu gestalten: „Was für ein Schwachsinn!“, dachte sie, „wirklichkeitsnah war die Biologie doch sowieso. Aber das war mal wieder typisch: Erst die Frösche für die Sezierstunde verbieten und dann mehr Wirklichkeitsnähe fordern!“

Zu den eher harmlosen Froschexperimenten zählen die vom Naturforscher René-Antoine Ferchault de Réaumur um 1700 selbst genähten wasserdichten Hosen für männliche Frösche, um bei seiner Verpaarung an den im Wasser unsichtbaren Samen zu kommen. Dies gelang jedoch erst 50 Jahre später dem Priester Lazzaro Spallanzani – mit besser zugeschnittenen Hosen.

Heute sind nur noch Verhaltensbeobachtungen bei Fröschen erlaubt. In der Amphibien- und Reptilien-Zeitschrift Rana (17/2016) ist von der Beobachtung eines ungewöhnlich mutigen Grasfrosches im Kreis Nordfriesland die Rede, der Vögel, Rötelmäuse und Menschen angreift, indem er sich aufrichtet, sie lange fixiert und dann mit „schnappendem Maul“ auf sie zuhüpft.

„Der Klang der Stimme des Frosches hat bereits etwas Menschliches“

Jean-Pierre Brisset

Bis in die tropischsten Regenwälder sind Biologie-Doktorantinnen unterwegs, um die Lebensweise seltener Froscharten zu erforschen. In Berlin gibt es wildlebend kaum noch Frösche, dafür immer mehr afrikanische Krallenfrösche: die Albinoform – als Labortiere. Man findet sie meist bei Künstlern, die keine Kunst mehr machen, sondern etwas erforschen und deswegen auch kein Atelier mehr haben, sondern ein Labor. Mit den Krallenfröschen experimentieren sie aber nicht, sie sind nur da und leben in dekorativen Glasbehältern: bewegungslos unter Wasser und fast vergessen sorgen sie für das nötige Forschungsambiente.

Diese Künstler sind aber bloß die Vorhut – die Welt schrieb: „Deutsche entdecken Liebe zum Frosch als Haustier“, und sprach mit dem Vizepräsidenten der Deutschen Gesellschaft für Terrarienkunde, Axel Kweet, er versicherte: „Es gibt zahlreiche Froscharten, die in Terrarien gehalten werden können. Viele sind für Einsteiger geeignet. Sehr einfach zu halten ist der afrikanische Krallenfrosch. Er frisst sogar Trockenfutter.“ Auch Laubfrösche hält er für gute Anfängertiere, sie sind nur noch in Ostdeutschland häufig, zudem „streng geschützt“. Und das „Possierlichste, was man zwischen Maikäfer und Löwenbaby halten kann“, wie der Tierschützer Horst Stern fand. Daneben werden die mit ihnen verwandten Pfeilgiftfrösche aus Südamerika immer beliebter (wozu auch die Bromelienfrösche zählen). Sie verlieren in den Terrarien ihre Giftigkeit – weil man sie dort notgedrungen mit nicht-giftigen Insekten füttert. Ist das noch „artgerechte Haltung“?

Die Arbeitsgruppe „Angewandte Zoologie und Naturschutz der Universität in Greifswald ist mit ihrem gentechnischen Equipment an einem Forschungsprojekt des Smithsonian Tropical Research Institutes in Panama beteiligt, wo es um eine Fledermausart geht, die sich von Fröschen ernährt. Da in ihrem Verbreitungsgebiet auch viele Pfeilgiftfroscharten leben, erforschen die Wissenschaftler dort, ob und wenn ja wie die weiblichen Fledermäuse ihren Jungen den Unterschied zwischen diesen und den ungiftigen Fröschen beibringen. Der Zoologe Gerald Kerth berichtet darüber in „Die faszinierende Welt der Fledermäuse“ (2016). In dem US-Institut gibt es auch Forscher, die sich leidenschaftlich für Frösche interessieren. Man kann sich denken, dass sie nicht gut auf die Fledermaus-Kollegen zu sprechen sind.

Der Sprachforscher und Aufsichtskommissar bei der französischen Eisenbahn, Jean-­Pierre Brisset, studierte 20 Jahre lang die Sprache der Frösche. Dabei kam er 1913 zu dem Ergebnis, dass sie unsere „Ahnen“ beim Spracherwerb sind. Die Pariser Avantgarde hat ihn so als „Fürst der Denker“ gefeiert. Unter diesem Ehrentitel erschien 2016 eine „Dokumentation“ über Brisset auf Deutsch. Seine Sprachanalysen resultierten aus Wanderungen durch die „umliegenden Sümpfe“ seines Wohnortes, wo er „dem Gesang der Frösche lauschte. Aufmerksam notiert er ihre Laute.“ Alles ist darin zu hören, „wenn man nur hören will. Die Frösche, sie sprechen eine Sprache“, wie es im Vorwort heißt. In der Ankündigung der Veranstaltung zu seinen Ehren hieß es: „Die Ursprünge des Menschen endlich enthüllt. Wir stammen vom Frosch ab. Beweise aus der menschlichen Sprache sowie dem Körperbau, den Sitten und Rufen des Frosches erbracht.“ Brisset führte dazu aus: „Der Klang der Stimme und die Modulation des Gesangs des Frosches haben bereits etwas Menschliches. Seine Augen, sein Blick ähneln den unseren; und kein Tier besitzt eine körperliche Anmut von der Ferse bis zum Hals, die es so sehr dem menschlichen Körper annähern würde; wenige Menschen, selbst die jungen, sind so elegant.“

Dieses leicht gekürzte Kapitel über Frösche wurde dem neuen Buch von Helmut Höge entnommen: „Die lustige Tierwelt und ihre ernste Erforschung“ ist eben beim Westend Verlag erschienen, umfasst 160 Seiten und kostet 16 Euro.

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