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Scherben, Schuttund Schwebefliegen

Einer der Arkenberge im Norden von Pankow gilt seit 2015 als höchster Berg von Berlin. Grund genug, um auf seinem Gipfel Kontemplation zu suchen – wäre da nicht dieser Zaun

Gipfelsteineauf denArkenbergen im Pankower Norden Foto: Wolfgang Borrs

Von Susanne Messmer

Die Anfahrt ist ein wenig kompliziert. Man kann den Bus 107 ab dem U- und S-Bahnhof Pankow wählen, es ginge auch mit dem Rad, 12 Minuten ab ­S-Bahnhof Mühlenbeck-Mönchmühle auf der S8. Man kann aber auch mit dem Auto fahren, dann heißt es jedoch aufpassen, dass man nicht von der falschen Seite kommt, sondern von Osten, über die Autobahn.

So oder so: Sie sehen ziemlich hübsch aus, die beiden Arkenberge im Pankower Ortsteil Blankenfelde, im hohen Norden der Stadt, wenn man sich ihnen nähert. Ein bisschen wie die beiden Berge von Lummerland vielleicht, der berühmten Insel, auf der Jim Knopf wohnt und Lukas, der Lokomotivführer.

Ursprünglich waren die Arkenberge eine so genannte natürliche Erhebung, entstanden vor ungefähr 2,5 Millionen Jahren. Seit 1984 dienten sie als „Bauschuttaufschüttung“, wie es so schön heißt, so dass sie immer höher wuchsen und seit Januar 2015 als die höchste Erhebung auf dem Gebiet des Landes Berlin gelten. 120,7 Meter ist der höhere der beiden Berge hoch.

Er löste damit den Teufelsberg in Grunewald ab, den Trümmerberg, der es nach wie vor nur auf 120,1 Meter bringt. Auch, wenn sich neuerdings ein Aktionsbündnis mindestens 12 Meter hohe Aufschüttungen wünscht, um ihn attraktiver zu gestalten: Das Land Berlin müsste den Teufelsberg dafür zunächst von einer Investorengemeinschaft zurückkaufen, die ihn seit 1996 besitzt, mit Bauprojekten gescheitert ist und seither den Stillstand „pflegt“. Gut möglich, dass der eine der beiden Arkenberge also tatsächlich noch ein Weilchen der höchste Berg in Berlin bleiben wird.

Als Mensch, der im nordhessischen Mittelgebirge aufgewachsen ist, fällt es mitunter nicht leicht, in der überwiegend platten Stadt Berlin zu leben. Denn das Platte, so weiß man, ermöglicht objektiv weitere Sicht. Subjektiv aber ist es interessanter, ja erhabener, die Dinge auch mal von oben betrachten zu dürfen. Nirgendwo sonst bekommt man den Kopf so frei wie oben, auf einem Berg mit weitem Blick und frischem Wind um die Nase – das wussten die buddhistischen Mönche in China, die schon vor 800 Jahren in der Bergeinsamkeit Zuflucht suchten, das wusste 1967 Paul McCartney, als er mit „Fool on the Hill“ einen der schönsten Beatles-Songs überhaupt geschrieben hat.

Das ist die Berliner Luft (8 und Ende)

Die Serie Rund 3,8 Millionen BerlinerInnen atmen jeden Tag Hauptstadtluft. Sie kann ganz wunderbar sein, sie kann einem manchmal dünn werden – und mitunter stinkt sie auch einfach bloß gewaltig. In unserer luftig-leichten Sommerserie beschäftigen wir uns im wörtlichen und im übertragenen Sinne mit der Berliner Luft: Wir begleiten Sportler zum simulierten Höhentraining im Kreuzberger Bergmannkiez, gehen an einem von Berlins dreckigsten Straßenabschnitten flanieren, und schauen in einer Kaulsdorfer Schnapsfabrik tief in die Likörflasche – denn die „Berliner Luft“ ist inzwischen auch Szenegetränk.

Im achten und letzten Teil unserer Serie erklimmt unsere Autorin die Pankower Arkenberge - seit 2015 die höchste Erhebung in Berlin. (taz)

Umso enttäuschender ist es, als wir an einem herrlich heißen Donnerstagvormittag einmal um die Arkenberge herum fahren und dabei feststellen: Hier darf derzeit nur rauf, wer illegal über den Zaun zu klettern gewillt ist. Ein Mann aus der benachbarten Kleingartenanlage mit nacktem Oberkörper schimpft wie ein Brunnenputzer, weil sich hinterm Zaun ein seltsamer Traktor über die steilen Hänge arbeitet und die Wiese mäht. „Arschloch!“, ruft er dem Fahrer zu, der dies zum Glück wohl kaum zu hören imstande sein wird. Der Kleingärtner will wissen, dass dies ein Naturschutzgebiet sei – leider hat er Unrecht.

Wenig später haben wir trotzdem Glück mit den Bergen. Am Eingang der Firma Heim Deponie und Recycling treffen wir zufällig Thomas Aigte, der einmal wöchentlich hier arbeitet und uns freundlicherweise auf den Berg fährt. Während wir uns im voll klimatisierten Geländewagen langsam auf staubigen Serpentinen nach oben schlängeln, antwortet er auf alle Fragen, die sich zu den Arkenbergen so auftun.

1998 wurde die Ablagerung von Bauabfällen eingestellt, erzählt er, um 2000 kam der Plan auf, wonach die Arkenberge zu einem Erholungsgebiet für die wachsende Stadt gemacht werden sollen. Ursprünglich sollten die Berge schon nächstes Jahr zugänglich werden, aber Aigte meint, das könne durchaus noch drei, vier Jahre dauern. Keiner, der nicht vom Fach ist, kann sich vorstellen, wie kompliziert es ist, eine Schutthalde zu renaturieren.

Als wir endlich oben sind, geht der Blick zwar über ganz Berlin, man sieht sogar bis zum Konkurrenten, zum Teufelsberg auf der anderen Seite der Stadt. Aber ach, es geht kein Wind. Und die Kontemplation bleibt schon wegen der zerbrochenen Bierflaschen aus, die hier überall herumliegen. Denn natürlich ist am Abend und an den Wochenenden bei schönem Wetter oft Party hier oben, weiß Thomas Aigte. Herrn Aigte sitzen inzwischen zahlreiche Insekten auf dem Revers, sie sehen aus wie Hummeln. „Sind aber keine Hummeln“, sagt er, „sind Schwebefliegen.“

Tatsächlich kommen in Europa manchmal Hummel-Waldschwebefliegen vor, so informieren wir uns brav im Nachgang, bevorzugt in höheren Lagen. Mit ihrer flauschigen Behaarung, die man völlig gefahrlos streicheln kann, imitieren sie die Hummeln, um unerkannt zur Eiablage in deren Nester zu gelangen. Dort werden sie erstaunlicherweise meist trotzdem umgebracht, während ihre Larven überleben, indem sie sich vom Abfall und der toten Brut der Hummeln ernähren. Passt eigentlich ganz gut, dass sie sich hier, auf den Arkenbergen, nun ausgerechnet auf einem ehemaligen Schuttabladeplatz zuhause fühlen, der so tut, als sei er ein echter Berg.

Nirgendwo bekommt man den Kopf so frei wie oben auf einem Berg mit weitem Blick

Am Ende der netten Führung landen wir wieder am Eingang der Recycling-Firma, von hier aus kann man direkt in den Arkenberger Baggersee hüpfen. Der wurde Ende der Siebziger ausgehoben, um Kies für den Bau der Autobahn zu gewinnen, wissen wir von Herrn Aigte.

Vorn das Wasser, hinten die Berge: Fast wie am Gardasee eigentlich. Nur, dass es am Gardasee wahrscheinlich wegen der vielen Touristen längst keine Ringelnattern mehr gibt. Unser Exemplar schlängelt sich mit hoch erhobenem Kopf, aufsehenerregender Eleganz und beträchtlicher Bugwelle durchs Wasser.

Und da kommt sie plötzlich doch auf, die ersehnte innere Einkehr.

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