: Elegie-Maximum im Bierglas
Duftes Veteranentreffen: Die Regierung und Flowerpornoes spielten am Mittwoch im Bi Nuu
Von Julia Lorenz
Karrieren sind immer auch Zufallsprodukte. Mal wird ein Superstar auf YouTube entdeckt, mal gründen sich spätere Stadionrocker am Kneipentresen. Und dann gibt es Bands wie Die Regierung, die wohl jedem dritten Menschen in einem Club wie dem Kreuzberger Bi Nuu die Welt bedeuten; die, wie manche befinden, das beste deutschsprachige Album der 80er aufgenommen haben – und die trotzdem nie so ganz berühmt wurden. Egal, an einem Mittwoch im August feiert man das Jubiläum dieser Band: 60 Jahre Die Regierung. Gut, die Gruppe gibt es erst seit 36 Jahren, Sänger Tilman Rossmy aber seit 60, und Rossmy, dieser große Lakoniker und Alltagspoet, ist eben Die Regierung.
Gegründet in Essen 1982 als Ein-Mann-Projekt, nahm Die Regierung zwei Jahre später, nun zur Band gewachsen, ihr Debütalbum „Supermüll“ auf. Es gilt heute als Meilenstein, fand aber seinerzeit nur wenige Fans. Die Regierung löste sich auf, tauchte Anfang der 90er in Hamburg wieder auf und veröffentlichte auf dem Label L’Age D’Or, das damals ein goldenes Händchen hatte: Tocotronic, Die Sterne und viele weitere Hamburger Schüler veröffentlichten auch da.
Zwar kann man sich heute darauf einigen, dass der verschlurfte Sound von Die Regierung stilbildend war; mit seiner Weigerung, der Erzählkunst auf Biegen und Brechen einen schicken Überbau zu verpassen, wollte Rossmy aber nicht so recht in die hyperironischen, diskursverliebten 90er passen. Die Band stellte abermals den Betrieb ein – bis sie 2015 bei einer Reunion-Tour zum 30-jährigen Jubiläum von „Supermüll“ offenkundig so viel Freude hatte, dass sie direkt zusammenblieb. Ins Kreuzberger Bi Nuu haben Die Regierung auch die Flowerpornoes um Tom Liwa geladen, nicht als Support, wie Rossmy im Vorfeld betonte, sondern als gleichberechtigten Act. Gegründet nebenan in Duisburg, sind die Flowerpornoes alte Bekannte, waren zeitweise Labelkollegen. Heute stellt man fest: Liwa kann beim Singen immer noch gucken, als verzweifele er an allem. Und das, obwohl das mehrheitlich mittelalte Publikum ihm ja zugetan ist, wenn er Klassiker wie „Eng in meinem Leben“ spielt, in einer Stimmung allerdings, die einen noch schwermütiger macht als die Studiofassung des Songs.
Das mach ich auch
„Kennt ihr das? Wenn ihr ’ne supergeile Band hört, und euch denkt, das mach ich auch? Das können wir jetzt machen“, wird Rossmy sagen, wenn Die Regierung schließlich die Bühne betritt. Und dann, nuschelig und weise: „Ich mag euch, ihr mögt uns, da können wir machen, was wir wollen.“ Machen sie dann auch. Die Regierung spielt eine feine Werkschau, von „Nicole“ vom 1994er-Album „Unten“ bis zu neuen Songs wie „30 Jahre mehr“ vom 2017er „Raus“. Auf diesem Spätwerk vermisste man die Kaputtheit der frühen Tage ein wenig, live ist dann alles da: Krach, Schnodder und genau so viel Elegie, wie in ein Bierglas passt. In einem Interview kokettierte Rossmy mal damit, seit seiner Jugend musikalisch nichts dazugelernt zu haben – wohl wissend, dass nichts egaler ist, wenn sich die schroffherzliche Energie einer Band so direkt aufs Publikum überträgt. Derart belebt vom späten Comeback scheint die Band, dass sie gleich noch ein Album herausbringen wird, das Finale des Abends ist ein Vorbote. Es ist ein berührendes Stück über den Verlust der Unschuld, ein Song, als binde man Peter Handkes „Lied vom Kindsein“ Bleigewichte an die Füße: „Als das Kind Kind war, wusste es nicht, dass es Kind war, alles war ihm beseelt“, heißt es bei Handke; „Ich bin zehn Jahre alt, und der Gedanke an den Tod quält mich/ Und der Himmel scheint mir so verdammt langweilig zu sein“ bei Rossmy.
Im März will Die Regierung das Album veröffentlichen. Vielleicht wird der Zufall ja diesmal wollen, dass es zur rechten Zeit kommt.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen