piwik no script img

Knastidylle

Die Fotografen Michael Belhadi und Michel Ptasinski dokumentieren in ihrem Buch „Aufschluss“ die Architektur deutscher Gefängnisse. Deren ästhetische Strenge spiegelt die totale Kontrolle innerhalb der Institution

Bautzen Fotos: Michael Belhadi und Michel Ptasinski

Von Brigitte Werneburg

Geldern

Einen Bildband über Kirchenarchitektur würde man im Deutschen Kunstverlag jederzeit erwarten, einen − mit mattschwarzem Umschlag und vertikal hochlaufenden lackglänzenden Streifen − sorgfältig gestalteten Band zur Gefängnisarchitektur eher nicht. Dabei scheint es höchste Zeit. Kirchen werden geschlossen und abgewickelt. Gefängnisse dagegen sind in der Regel voll belegt, teils sogar bedenklich überfüllt, wie man Medienberichten entnehmen kann.

Heidering

„Aufschluss“ heißt nun der Band der beiden Fotografen Michael Belhadi und Michel Ptasinski. Der Titel bezeichnet die Zeit, in der die Zellentür geöffnet ist. In dieser Zeit haben sich nun offensichtlich sämtliche Insassen wie Wärter und sonstiges Personal aus dem Blickfeld der Fotografen und ihrer Plattenkamera verdrückt. Denn Belhadi und Ptasinski zeigen nichts als die nackte, menschenleere Architektur. Seit zehn Jahren verfolgen sie die Idee und legen nun aus zwölf deutschen Gefängnissen Aufnahmen von großer Klarheit und ästhetischer Strenge vor.

Heidering

Nach einem schwarz-weiß fotografierten, expressiven Prolog mit Nah- und Detailansichten von Stacheldraht, von Beton- und Backsteinmauern, von Gittern und vergitterten Fenster beginnt ihre Untersuchung „Außen“, wie das erste Kapitel ihres Bandes heißt. In ihrer unscheinbaren Monumentalität verkörpern die Bauten Gültigkeit und Dauer, egal ob 1716 bezogen, wie die JVA Waldheim in Sachsen, oder erst 2013, wie die in Brandenburg gelegene Berliner Haftanstalt Heidering. Sie funktionieren morgen genau so, wie sie Michael Belhadi und Michel Ptasinski gestern fotografiert haben.

Heidering
Remscheid

So unerschütterlich und aufgeräumt wie außen geht es im „Innen“ geradewegs weiter. Berlin-Moabit zeigt die exemplarische Gefängnisarchitektur, mit der uns der Philosoph Michel Foucault in seinem Werk „Überwachen und Strafen: Die Geburt des Gefängnisses“ bekannt gemacht hat: den panoptischen Rundbau im Zentrum, von dem aus in alle Gefängnisflure gesehen werden kann. Die wiederum sehen selbst nicht viel anders aus als die in Münster oder Hamburg-Fuhlsbüttel. Und gleichgültig ob Flur, Zelle, Verbindungstrakt und Treppenaufgang, immer schaut das Gefängnis in den Bildern ästhetischer aus als in Wirklichkeit.

Remscheid

Die Aufnahmen Michael Belhadis und Michel Ptasinskis sind nicht dazu geeignet, auf- und leergeräumte Gefängnisse als schöner im Sinne von humaner erscheinen zu lassen. Im Gegenteil wird das Gefängnis als totale Institution durch ihre Herangehensweise umso deutlicher sichtbar. Zentrale Kleiderkammern, Aufbewahrungssysteme, Küchen, Wäschereien und Duschen, wie sie das dritte Kapitel „Anlagen“ zeigt, werden inzwischen zwar gerne durch kleinere Einheiten ersetzt, um bei den Insassen den Eindruck selbstbestimmten Handelns zu fördern. Doch alle ihre Lebensäußerungen werden von übergeordneter Stelle geregelt und kontrolliert, darüber können auch die Möglichkeiten der „Begegnung“ nicht hinwegtäuschen, denen die Fotografen im letzten Kapitel nachgehen.

Stuttgart-Stammheim

Es ist in den Sporthallen, Fitness-Centern, Bibliotheken und Begegnungsräumen, so modern und großzügig sie auch eingerichtet sein mögen, grundsätzlich ein Gitterfenster zu viel zu sehen, um den Anschein von Normalität nicht Lüge zu strafen.

Michael Belhadi, Michel Ptasinski: „Aufschluss“. Deutscher Kunstverlag, 160 Seiten mit 125 farbigen und 9 schwarz-weißen Abbildungen, 29,90 Euro

40.000 mal Danke!

40.000 Menschen beteiligen sich bei taz zahl ich – weil unabhängiger, kritischer Journalismus in diesen Zeiten gebraucht wird. Weil es die taz braucht. Dafür möchten wir uns herzlich bedanken! Ihre Solidarität sorgt dafür, dass taz.de für alle frei zugänglich bleibt. Denn wir verstehen Journalismus nicht nur als Ware, sondern als öffentliches Gut. Was uns besonders macht? Sie, unsere Leser*innen. Sie wissen: Zahlen muss niemand, aber guter Journalismus hat seinen Preis. Und immer mehr machen mit und entscheiden sich für eine freiwillige Unterstützung der taz! Dieser Schub trägt uns gemeinsam in die Zukunft. Wir suchen auch weiterhin Unterstützung: suchen wir auch weiterhin Ihre Unterstützung. Setzen auch Sie jetzt ein Zeichen für kritischen Journalismus – schon mit 5 Euro im Monat! Jetzt unterstützen