Berliner Wochenkommentar I: Trial and Error aus der Not heraus

Die Schule kann wieder starten. Aber nur, weil da eine Menge Quereinsteiger ohne pädagogische Ausbildung in den Klassen stehen werden.

Ins Lehrerzimmer kommt man auf unterschiedlichstem Wege Foto: dpa

Kurz vor den Ferien gibt es Zeugnisse, kurz vor Ende der Ferien nur ein Armutszeugnis. Das bekommt in der Regel die Schulsenatorin – für fehlende Lehrkräfte, kaputte Schulen, fehlendes Budget etc. In diesem Jahr fiel es besonders deutlich aus, weil der Lehrermangel besonders deutlich zu erkennen ist.

Zwar stellt Sandra ­Scheeres (SPD) zu Schulbeginn 2.700 neue Lehrkräfte ein. Aber nur 1.004 davon dürfen sich wirklich ausgebildete Lehrer nennen. 738 sind Quereinsteiger und absolvieren nebenbei ein Referendariat, 915 sind Lehrkräfte ohne volle Lehrbefähigung, kurz liebevoll LovL genannt. Sie haben immerhin irgendeinen akademischen Abschluss, alles Weitere ist flexibel. Starten dürfen die LovL mit einem Ein- oder Zweijahresvertrag. Und dann wird man sehen. Trial and Error, geboren aus der Not. Denn der Markt gibt einfach nicht genügend Pädagogen her – weder für Schulen noch für Kitas.

Berlin hat seit vielen Jahren und schon lange vor Scheeres’ Amtszeit große Schwierigkeiten, genügend Lehrer zu finden. Gründe dafür gibt es viele: Lange wurde zum Beispiel zu wenig ausgebildet und anschließend weniger gezahlt als in anderen Bundesländern. Viele gut gemeinte Reformen wie das jahrgangsübergreifende Lernen JüL sind deshalb weniger erfolgreich, als sie sein könnten.

Angesichts der vielen Quer- und Irgendwieanderseinsteiger greift die oppositionelle CDU zur derbsten Keule, die sie hat. „Es wird nur noch notdürftig geflickt, wo dringender Reformbedarf besteht“, mosert Hildegard Bentele, die bildungspolitische Sprecherin der Fraktion – und fordert Scheeres’ Kopf. Zudem soll die SPD gleich auch noch das Bildungsressort, das sie seit Jahren verantwortet, abgeben.

Das ist natürlich wohlfeil, populistisch und auch politisch falsch. Rücktrittsforderungen an eine Senatorin sollte man klug abgewogen stellen, sonst verlieren sie ihre Wirkung. Schließlich hat auch die Union keine schlauen Konzepte auf Lager, wie sie den Lehrer- und Erziehermangel zügig beheben kann. Der CDU-Generalsekretär, eigentlich fürs Draufhauen zuständig, verkneift sich daher die Rücktrittsforderung.

Hinter dem schulpolitischen Dilemma steckt auch ein Strukturproblem: Während sich Prognosen über Schülerzahlen und Lehrermangel gern mal über mehr als eine Dekade erstrecken, denken Politiker wahltechnisch bedingt im Vier- oder Fünfjahresrhythmus. Nur wenigen gelingt es, in diesem Bereich langfristig erfolgreiche Politik zu machen. Scheeres gehört da nicht dazu, sie muss vor allem den Mangel verwalten und kann wenig eigene Akzente setzen. Aber das unterscheidet sie derzeit nicht von vielen anderen Bildungspolitikern.

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