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Diese grandiose Bühnen-Energie

HipHop-Konzerte mit Schlagzeug sind in der Regel besser als HipHop-Konzerte ohne: Noname im Lido

Als charismatische Performerin dirigiert Noname mühelos ihre Band

Von Jan Jekal

Erleichterung beim Reinkommen: Auf der Bühne steht ein Schlagzeug. Das ist wichtig, denn hier handelt es sich um ein HipHop-Konzert, und HipHop-Konzerte mit Schlagzeug sind in der Regel sehr gut, und HipHop-Konzerte ohne Schlagzeug sehr schlecht. Bei letzteren gibt es meist nur einen unaufhörlich nickenden DJ und einen Hype Man, der die wesentlichen Parts übernimmt, und den Headliner, der nur die jeweils letzte Silbe einer Zeile ruft und ansonsten den Kopf unten hält.

Auf der Bühne des Lido steht also erfreulicherweise ein Schlagzeug und bald sitzt dahinter auch ein Schlagzeuger, ein fantastischer sogar, garantiert Absolvent eines Jazz-Konservatoriums, der mit präzise synkopierten Grooves und aufregenden Akzentuierungen das deutsche Dienstagabend-Publikum herausfordert. Mit dem Bassisten, der einen Kamm in seinen Afro gesteckt hat, bildet er eine wahnsinnig dichte Rhythmusgruppe. Ein wenig auffallender Keyboarder ist noch Teil der Band, dazu eine Backing-Sängerin. Auf verstolperte Rhythmen legen sich sanfte Synthesizer, Jazz-Harmonien, Gospelgesang und Nonames virtuoses Rappen.

Der altmodische Begriff “Sprechgesang“ ist in dem Fall der 26-jährigen Musikerin aus Chicago tatsächlich einleuchtend, erinnert ihre entspannte Vortragsweise doch mehr an genau getaktetes Sprechen als das energische Rufen vieler (vor allem männlicher) Rapper. Ihre bisher einzige Veröffentlichung, ein vor zwei Jahren erschienenes Mixtape, trägt nicht ohne Grund den Titel “Telefone“; wir hören ihre Hälfte einer sehr privaten Unterhaltung. Bei aller textlicher Introspektivität ist Noname eine charismatische Performerin, die ihre Band mühelos dirigiert und das Publikum zu partizipatorischen Umtrieben ermutigt.

Wenn die Deutschen sie enttäuschen, und die Deutschen enttäuschen sie die ganze Zeit, weil sie die Texte nicht sicher beherrschen und deshalb nur zögerlich mitsingen, weil sie Call-Response-Figuren auch nach wiederholten Durchläufen nicht auf die Reihe kriegen, weil sie sich nicht bewegen, dann legt sie den Kopf in den Nacken und lacht herzhaft und macht weiter mit der Show, den Leuten versichernd, dass ihre Hemmungen schon in Ordnung sind. Zur Verteidigung des Publikums lässt sich sagen, dass Nonames Lieder ja auch ganz schön vertrackt sind, keine leichten Melodien, keine sich gleich erschließenden Hooks.

“If y’all like fucking, make some noise!“, sagt Noname einmal recht am Anfang. Die freundlichen Studenten im Publikum sind überfordert. Auf der einen Seite scheinen sie nicht in der Lage, mit einem selbstbewussten Jubeln zu antworten, gleichzeitig empfänden sie es aber auch unhöflich, der Aufforderung nicht nachzukommen. Ein pflichtbewusster Applaus ist der Kompromiss. Es scheinen vor allem wohlwollende Gelegenheitshörer im Publikum zu stehen, die gut gekleidete Indie-Crowd, die sich zu bewegen nicht traut. Die Zuschauer wagen es nicht zu tanzen, als würde niemand zuschauen, weil sie davon ausgehen, dass jemand zuschaut. Wenn sie exakte Instruktionen bekommen, lassen sie sich zu rhythmischem Klatschen überreden.

Und so wippt man auf der Stelle und seufzt über die stickige Luft, den Sauerstoffmangel, und verwandelt in Gedanken die große Discokugel über seinem Kopf in einen großen Ventilator, und dabei ist der Sauerstoffmangel doch genau der Grund, aus dem man hier sind. Die grandiose Energie auf der Bühne versackt also ein wenig im Publikum; eine toller Konzertabend ist es dennoch, denn die Lieder sind zu gut und die Band spielt zu mitreißend. Noname ist es übrigens auch zu warm. “Keine Ahnung, wie ich auf die Idee gekommen bin, heute so ein enges Kleid zu tragen“, sagt sie und tanzt trotzdem.

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