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Nicht verpflichtend, aber üblich

Wie viel Mehrarbeit Beschäftigte leisten müssen, steht in der Regel in Arbeitsverträgen, Betriebsvereinbarungen und Tarifverträgen. Die Hälfte dieser zusätzlichen Arbeit wird bezahlt, die andere nicht. Grundsätzlich dürfen Überstunden aber auch abgelehnt werden

Von Hannes Koch

Überstunden im Job sind normal. Viele Beschäftigte arbeiten mehr, als sie eigentlich müssten – teils freiwillig, weil die Tätigkeit Spaß macht. Oder weil es zum guten Ton in der Firma gehört. Andere wollen sich Ärger mit den Vorgesetzten ersparen, oder sie erhoffen sich Karrierechancen. Nicht selten verlangen die Unternehmen aber auch ausdrücklich, dass die Arbeitnehmer*innen mehr Stunden im Büro oder der Werkhalle verbringen.

Insgesamt geht die Menge der Mehrarbeit in der Bundesrepublik seit der Finanzkrise allerdings etwas zurück. Das mag daran liegen, dass sich die Verhandlungsposition der Beschäftigten wegen der guten Wirtschaftslage verbessert. Im Jahr 2016 leisteten die hiesigen Arbeit­nehmer*innen bis zu 1,7 Milliarden Überstunden. Das machte etwa 3 Prozent des gesamten Arbeitsvolumens aus. Nach Berechnungen des Deutschen Gewerkschaftsbundes kam dabei auf jeden Beschäftigten durchschnittlich knapp eine Überstunde pro Woche. Die Hälfte dieser zusätzlichen Arbeit wird bezahlt, die andere nicht – ein Milliardengeschenk an die Arbeitgeber.

So stellt sich die Frage nach den Rechten der Arbeit­neh­mer*innen. Muss man überhaupt Überstunden leisten? „Nein“, sagt Alexander Bredereck, Fachanwalt für Arbeitsrecht in Berlin. „Arbeitnehmer sind dazu grundsätzlich nicht verpflichtet.“ Nur wenn die Verpflichtung zu Überstunden ausdrücklich geregelt sei, könne das Unternehmen diese auch verlangen, so Bredereck.

Hat ein Arbeitnehmer jedoch beispielsweise keinen schriftlichen Arbeitsvertrag – was immer seltener vorkommt –, kann er Mehrarbeit meistens erst einmal ablehnen. Das gilt unter der Einschränkung, dass Firmen Überstunden in Not­situationen durchaus anordnen dürfen. Als Beispiel nennt Bredereck den Brand in einer Fabrik. Trete ein solch unvorhergesehenes Ereignis ein, könne die Firma die Beschäftigten auffordern, Hilfe zu leisten, ohne auf die Uhr zu schauen. Auch der Ausfall des Computersystems oder eine außergewöhnliche Krankheitswelle in der Belegschaft sind als Begründung geeignet, meint Britta Beate Schön, Rechtsexpertin beim Verbrauchermagazin Finanztip.

Solche Fälle stellen allerdings eher seltene Ausnahmen dar. Gängige Praxis ist dagegen, dass das Maß zulässiger Mehrarbeit jenseits der normalen Arbeitszeit vertraglich definiert wird. Dann haben die Beschäftigten allerdings eher schlechte Chancen, wenn sie sich gegen zusätzliche Stunden wehren wollen, die in dem festgelegten Rahmen bleiben.

Derartige Regelungen kommen in verschiedenen Formen vor. Eine Variante: Klauseln in den individuellen Arbeitsverträgen definieren den Umfang und die Bezahlung der Mehrarbeit. Zweitens stecken Betriebsvereinbarungen zwischen Betriebsrat und Firmenleitung den Rahmen ab. Schließlich sind die Tarifverträge zwischen den Gewerkschaften und Arbeitgeberverbänden relevant. In diesen vereinbaren die Tarifpartner, was in ganzen Branchen gilt.

Geht die Mehrarbeit über die vereinbarte Menge hinaus, können die Beschäftigten widersprechen. Bevor man sich allerdings weigert, ist ein Gespräch mit Fachleuten anzuraten. Bei Problemen wenden sich die Arbeitnehmer*innen an den Betriebs- oder Personalrat. Weitere Ansprechpartner sind die Gewerkschaften und Anwälte für Arbeitsrecht.

2016 kam auf jeden Beschäftigten knapp eine Überstunde pro Woche

Die Obergrenze der insgesamt zulässigen Arbeitszeit beträgt grundsätzlich – erstaunlicherweise immer noch – 60 Stunden pro Woche. Darin enthalten sind jeweils 8 Stunden an 6 Arbeitstagen – auch der Samstag ist ein regulärer Werktag – plus maximal 2 Überstunden pro Tag. Das heißt aber nicht, dass Firmen das Recht hätten, ständig derart viele Überstunden zu verlangen. Denn: Die Mehrarbeit darf trotz der 60-Stunden-Grenze die durchschnittliche tägliche Arbeitszeit von 8 Stunden nicht überschreiten. In einem bestimmten Zeitraum müssen die Überstunden also durch kürzere Arbeitstage ausgeglichen werden.

Wie zusätzliche Dienste bezahlt werden, ist in der Regel ebenfalls in Arbeitsverträgen oder kollektiven Vereinbarungen geregelt. Nicht selten gibt es bestimmte Zuschläge. Wenn solche Regelungen nicht vorhanden sind, gilt das, was betriebs- und branchenüblich ist.

Grundsätzlich muss die Vergütung der Überstunden in Relation zum normalen Gehalt stehen. „Das heißt: Bei einer 40-Stunden-Woche macht der Verdienst für eine Stunde Mehrarbeit etwa den hundertsechzigsten Teil des Monatslohns aus“, sagt Bredereck. Die Arbeitnehmer*innen haben einen Anspruch darauf, dass ihnen dieser Zusatzverdienst ausgezahlt wird. Ein Freizeitausgleich kann stattdessen nur verlangt werden, wenn er ausdrücklich vereinbart ist. Bei Leitenden Angestellten sind Überstunden normalerweise in der Vergütung enthalten.

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