: Der Expräsident am Ende einer nostalgischen Tour de France
François Hollandes Buch über seine stark kritisierte Präsidentschaft ist ein Bestseller. Ebenso erstaunlich ist der phänomenale Publikumserfolg, wenn er landauf, landab sein Werk signiert. So schnell werden enttäuschte Wähler nachsichtig
Aus Lisieux Rudolf Balmer
Bonjour! Heiß ist es hier, fast wie an der Riviera“, ruft François Hollande leutselig der kleinen Menge zu, die in Lisieux in der Normandie vor der Buchhandlung „Les Grands Chemins“ schon über eine Stunde lang unter der Sonne geduldig auf ihn wartet. Wie immer schon als Staatspräsident und früher als sozialistischer Parteichef kommt er mit Verspätung zu seinem Termin. Er hat zuvor in einer anderen Kleinstadt, Alençon, in einer anderen Buchhandlung Widmungen in Hunderte von Exemplaren seines im Frühling erschienenen Buchs „Les leçons du pouvoir“ („Lehren der Macht“) geschrieben und mit seinen Lesern und Fans geplaudert. Die Wartenden nehmen ihm nichts übel. Sein Kommentar zum Wetter ist freundlich gemeint. Denn die Normandie ist eher bekannt für relativ feuchtes und kühles Klima.
Schon in den ersten Minuten entledigt er sich seiner dunklen Anzugsweste, um buchstäblich im Schweiße seines Angesichts hinter einem kleinen Tisch zu signieren. Er hat bereits große Übung darin, das sieht man gleich. Der für seine Späße bekannte Hollande lächelt etwas verschmitzt. Der Expräsident, der so unpopulär war, dass er an eine Wiederwahl nicht einmal denken durfte, genießt ganz offensichtlich das starke Interesse an seiner Person wie eine persönliche Revanche.
Ein Wunder
Auch in Lisieux nimmt er sich viel Zeit, als müsste er etwas Versäumtes nachholen. Das Signieren dauert darum bis in den Abend hinein; es ist nach 21 Uhr, als die Letzten stolz mit ihrem Buch und der persönlicher Widmung des Expräsidenten gehen und die Buchhändlerin Catherine Marin-Pestel zufrieden ihr Geschäft schließen kann. Sie habe fast 300 Exemplare des Hollande-Buchs verkauft, verrät sie, obschon viele Leute das ihre bereits vorher erstanden hätten.
Das wegen der Basilika der heiligen Therese bekannte normannische Pilgerstädtchen war bereits die 52. Station auf Hollandes Tour de France. Von seinem Buch sind laut Verlag Stock bereits annähernd 100.000 der gedruckten 140.000 Exemplare verkauft worden. Das ist wahrlich ein Wunder auf dem Buchmarkt, wenn man bedenkt, dass am Ende seiner Amtszeit nur 3 Prozent seiner Landsleute eine zweite Amtszeit für wünschenswert hielten.
Als Conférencier, der den Touristen aus aller Welt die Lebensgeschichte der lokalen Heiligen erzählt, ist Jean-Charles Robillard ein Experte für Wunder. Seine Erklärung für Hollandes erstaunlichen Anklang ist ganz von dieser Welt: „Er ist einfach, direkt und aufrichtig, wenn er mit den Menschen über ihre Probleme redet“. Er sei selber nie Parteimitglied gewesen, sagt dieser Hollande-Fan, doch habe er „aus Überzeugung“ 2012 im ersten und zweiten Wahlgang für den Sozialisten gestimmt. Wie wohl die allermeisten, die den in den Ruhestand geschickten Expräsidenten „live“ sehen wollen. „Man wird ihn sehr bald vermissen“, meint Robillard.
Davon sind auch die anderen überzeugt, die zum Teil während drei Stunden mit ihrem Buch unter dem Arm in der Hitze darauf warten, um dem Exstaatschef die Hand zu schütteln und mit ihm ein paar Worte zu wechseln, während er mit seinem Filzstift seine Widmung in winzigen, kaum entzifferbaren blauen Buchstaben kritzelt. Unermüdlich und unersättlich erkundigt er sich nach Vornamen, Wohnort, Beruf oder Karriereplänen und dem Wohlergehen der Kinder, oft erinnert er sich an den Namen des ehemaligen Bürgermeisters im benachbarten Dorf oder Abgeordneten im Wahlkreis. Sein Leibwächter hilft aus beim Fotografieren mit dem Handy. Die Selfies sind vielleicht wichtiger als die Widmungen.
Eine pensionierte Zeichenlehrerin, die mit ihrer Tochter gekommen ist, schmeichelt ihm: „Sie fehlen uns.“ Auch Fabrice Letondu, der „Klempner“ als Beruf angibt, zollt ihm Anerkennung: „Bei den Anschlägen waren Sie als Staatsoberhaupt tadellos.“
François Hollande: „Les leçons du pouvoir“. Stock, Paris 2018, 288 S., 16 Euro
Mehr noch schmeicheln ihm die häufigen kritischen Bemerkungen über seinen Nachfolger Emmanuel Macron. „Es hat mir gefallen, dass Sie im Fernsehen gesagt haben, Macron sei der Präsident der Reichen“, schwärmt einer der vielen Besucher in Lisieux. „Nein, ich habe gesagt, er ist der Präsident der Superreichen“, korrigiert ihn Hollande, über seinen eigenen Gag lachend. An die kleine Gruppe von Journalisten gewandt meint er dann: „Sie können sich gar nicht vorstellen, was ich alles an abfälligen Bemerkungen über Macron zu hören bekomme. Vor allem die Rentner sind sehr enttäuscht und wütend über die Steuererhöhung, die sie trifft.“
Hollande versichert, er habe „viel gelernt“ bei diesen Begegnungen mit angeblich rund 15.000 Mitbürgern. „Für die (geplante) Taschenbuchausgabe möchte ich dazu ein oder zwei Kapitel hinzufügen, in denen ich meine Erfahrungen schildere aus den Treffen mit diesen Franzosen und Französinnen, die das Gefühl hatten, dass man ihnen nie zuhört.“
Er gesteht, dass er selber als amtierender Staatschef „keine Zeit für das Zuhören“ gehabt habe. Vielleicht auch aus gutem Grund? „Als ich Präsident war, hatte jeder einen Anlass, um sich zu beklagen, heute aber einen Grund, um sich zu bedanken“, meint er etwas überschwänglich unter dem Eindruck der vielen Komplimente.
Dieser Macron
Amüsant mutet es an, dass diese Memoiren eines Präsidenten, dem oft eine gewisse „weiche“ Passivität vorgeworfen wurde, in achtzehn Kapitel unterteilt sind, die alle mit Tätigkeitswörtern überschrieben sind. Das beginnt mit „Präsidieren“ und „Entscheiden“ und endet mit „Hoffen“.
In seinem Buch rechnet Hollande mit seinem Exberater und Wirtschaftsminister ab, der hinterrücks seine eigene Präsidentschaftskampagne in die Wege leitete, um so Hollande noch zusätzlich an einer Kandidatur zu hindern. Mehrfach habe sein Minister ihm gegenüber diese Pläne dementiert. „Ich vernehme, dass Macron bei gewählten VolksvertreterInnen anfragt, ob sie seine eventuelle Kandidatur unterstützen würden. Diese zeigen mir sogar die Botschaften, die sie von ihm erhalten haben. Ich verlange eine Stellungnahme von ihm und bemerke, wie verlegen er ist. Einige Tage später sagt er auf meine Frage zu seiner eventuellen Kandidatur, er mache keine Polit-Fiktion.“
Noch mehr hadert Hollande aber mit anderen Gegnern im eigenen Lager. Bei der Debatte um die Arbeitsrechtsrevision kam es wegen der Opposition der linkssozialistischen „Frondeurs“ zum fatalen Bruch, von dem sich weder die Regierungspartei noch der Staatschef erholen sollten.
Ein Geheimnis bleibt, wie viele der Fans, die Hollande mit eigenen Augen sehen wollten, sein Buch, um das sich hier schließlich alles dreht, auch gelesen haben. Die ersten Rezensenten hatten sich auf das intimste Kapitel gestürzt, in dem er von seinen früheren Partnerinnen Ségolène Royal und Valérie Trierweiler mit Respekt und einem gewissen Verständnis für ihre Reaktionen spricht.
Nur liebevoll Positives schreibt er über seine jetzige Lebensgefährtin, die Schauspielerin Julie Gayet, die zwar stets politisch engagiert war, dennoch aber „sich in keiner Weise in die Entscheidungen oder Wahl von Personen eingemischt hat“.
Auch nicht in seinen Abgang: Mit seinem Verzicht auf eine (damals völlig aussichtslos erscheinende) Kandidatur für eine Wiederwahl glaubt Hollande sich im Interesse der politischen Linken „aufgeopfert“ zu haben. „Ich habe das nicht aus einer Laune heraus oder einem Gefühl der Mutlosigkeit getan. Ich habe kaltblütig und politisch logisch die Konsequenzen aus einer Verhinderung (einer Kandidatur) gezogen, die von unter sich gegensätzlichen, aber zu diesem Zweck vereinten Kräften in die Wege geleitet wurde. Wie hätte ich in den Tagen danach meine Entscheidung bereuen können?“
Trotzdem wird er von seinen Besuchern in der Provinz immer wieder gefragt, ob oder wann er in den politischen Aktivdienst zurückkehre. „Ich bin Kandidat für gar keinen Posten, aber wenn ich etwas zu sagen habe, dann rede ich ungeniert“, antwortet er und lässt die Eventualität eines Comebacks offen.
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