Hass gegen LGBT-Personen: Die alltägliche Angst

Lesben, Schwule, Bisexuelle und Transpersonen sind mit ihrem Leben weniger zufrieden als Heteros. Die britische Regierung legt neue Zahlen vor.

Bisexuelle werden oftmals marginalisiert. Hier zeigen sie sich während der San Francisco Pride Foto: Flickr/mary

BERLIN taz | Auf der London Pride am vergangenen Wochenende erklärte der Bürgermeister der britischen Hauptstadt, Sadiq Khan: „In London ist man frei zu lieben, wen auch immer man lieben will.“ So einfach ist das allerdings nicht. Das belegen die Ergebnisse zweier unabhängig voneinander erschienenen Studien zu den Lebensumständen von Lesben, Schwulen, Bisexuellen und Transpersonen (LGBT).

Eine der beiden Studien hat die britische Regierung in Auftrag gegeben und vor kurzem, zusammen mit einem entsprechenden Aktionsplan, vorgestellt. Für die bislang weltweit größte nationale LGBT-Studie wurden über 108.000 Personen online zu ihren Diskriminierungserfahrungen als LGBT-Personen befragt. Die Erhebung zeigt, dass Gewalterfahrungen anscheinend oft zum Alltag gehören. Knapp 40 Prozent der Studienteilnehmenden gaben in der Befragung an, allein in den letzten zwölf Monaten verbale oder physische Gewalt erfahren zu haben.

Während die gesamte Bevölkerung ihre Lebenszufriedenheit auf einer Punkteskala bis 10 mit einem durchschnittlichen Wert von 7,7 angab, gaben Transpersonen durchschnittlich nur einen Wert in Höhe von 5,3 an; Bisexuelle 6,3 sowie Lesben und Schwule 6,9.

Zudem berichteten die Befragten über negative Alltagserfahrungen: Über 68 Prozent bewegen sich aus Angst nicht gleichgeschlechtlich Hand in Hand, ein öffentliches Auftreten als nicht-heterosexuell vermeiden 65 Prozent in öffentlichen Verkehrsmitteln, über die Hälfte am Arbeitsplatz und fast ein Viertel im eigenen Zuhause.

„Dass so viele Menschen das Händchenhalten fürchten, hat mich schockiert“, erklärte die Premierministerin Theresa May zur Vorstellung des Aktionsplans auf Facebook. Die Chefin der britischen LGBT-Organisation Stonewall, Ruth Hunt, überraschen die Ergebnisse nicht: „Manche Menschen mögen geschockt sein. Aber für jeden, der LGBT ist oder mit LGBT-Personen befreundet ist, sind diese Resultate traurigerweise klar zu erkennen. Gleichgeschlechtliches Händchenhalten ist ein Akt, der nervenaufreibend und beunruhigend sein kann.“

Verbot der „Homo-Heilung“

Im Aktionsplan hat die britische Regierung Maßnahmen angekündigt. Unter anderem soll ein Verbot der „Konversionstherapie“ durchgesetzt werden, nachdem fünf Prozent der Studienteilnehmenden zuvor angegeben hatten, dass ihnen eine solche „Therapie“ zur „Heilung“ von Homosexualität bereits angeboten wurde. Zum Vergleich: Die deutsche Bundesregierung hat es vor einigen Tagen erneut abgelehnt, solche Angebote zu verbieten.

Großbritannien plant laut Aktionsplan außerdem, bis 2020 4,5 Millionen Pfund für Projekte gegen Diskriminierung bereitzustellen, vor allem an Schulen. Und auch die Polizei soll besser für LGBT-spezifische Hasskriminalität geschult werden.

Der Maßnahmenkatalog hat jedoch Lücken: So behandelt der Plan weder die Situation von LGBT-Asylbewerbenden, noch eine Rehabilitierung für strafrechtlich verfolgte schwule und bisexuelle Männer und eine Forderung nach der Eheöffnung in Nordirland. Kein Wunder: May vereinbarte für ihre Minderheitsregierung nach der Unterhauswahl im Juni 2017 eine Tolerierung durch die radikalprotestantische Partei Democratic Unionist Party, die Homosexualität für eine Sünde hält.

In vielen Ländern auf der Welt sieht die Lebenswirklichkeit von LGBT-Personen noch deutlich finsterer aus: Das zeigt ein ebenfalls vor Kurzem erschienener Bericht der Vereinten Nationen. In 72 Ländern steht Homosexualität unter Strafe. In neun islamischen Ländern oder Landesteilen droht Homosexuellen sogar die Todesstrafe.

Besonderes Risiko für bisexuelle Frauen

Der UN-Bericht zeigt sich auch über andere Formen weltweiter Tötungen von LGBT-Personen besorgt, zum Beispiel „als ‚soziale Säuberung‘ oder ‚Ehrenmord‘ bekannt gewordene Fälle.“ Gewalt gegen LGBT-Personen umfasse zudem Todesdrohungen, willkürliche Inhaftierungen, verbale, körperliche und sexualisierte Gewalt und erzwungene medizinische Behandlungen wie Analuntersuchungen zur „Feststellung“ von Homosexualität.

Zudem wird in dem Bericht erstmals prominent darauf hingewiesen, dass bisexuelle Frauen einem spezifisch erhöhten Risiko ausgesetzt sind, Gewalt zu erfahren. „Die Forschung hat aufgedeckt, dass Bisexuelle wahrscheinlicher partnerschaftliche, häusliche und sexualisierte Gewalt sowie Vergewaltigung erfahren als Schwule und Lesben.“ Die Raten seien „schockierend“, so die Schlussfolgerung.

Ursachen dafür werden nicht genannt. Diese sind laut der einschlägigen Forschung in der sogenannten Biphobie, einer spezifischen Diskriminierung und Feindlichkeit gegenüber Bisexuellen, zu suchen. Das drückt sich beispielsweise in der Leugnung, Unsichtbarmachung und Stigmatisierung von Bisexualität aus. So weist die Geschlechterforscherin Nicole Johnson gegenüber dem Online-Portal bisexual.org darauf hin, dass Hypersexualisierung und bifeindliche Belästigungen zu einem höheren Risiko von sexualisierter Gewalt für bisexuelle Frauen führen können.

Außerdem würden „bisexuelle Frauen in den Medien, in der LGBT-Community und in der allgemeinen Bevölkerung oftmals unsichtbar gemacht“, so die Wissenschaftlerin. „Bisexualität bei Frauen wird oftmals als ‚Phase‘ oder ‚Experiment‘ missverstanden. In der Pornografie wird weibliche Bisexualität für die Befriedigung von heterosexuellen Männern inszeniert.“

Internalisierung der Feindlichkeit

Die vielfach erlebten Erfahrungen mit sexueller Gewalt würden auch mit biphoben Mythen zusammenhängen, die Bisexuelle als immer sexuell verfügbar, gierig und an jedem interessiert darstellen. „Auch das Stereotyp, dass Bisexuelle unvertrauenswürdig seien, ist mit der partnerschaftlichen und sexualisierten Gewalt verknüpft.“

Gerade bei jungen Menschen kann solche Exklusion zu einem niedrigen Selbstwertgefühl führen, zeigt die relevante Forschung zu sogenanntem Minderheitenstress seit Jahrzehnten. Solche Erfahrungen können zudem die Internalisierung dieser Feindlichkeit verstärken. So berichtete die britische Gewaltopfer-Beratungsstelle SafeLives im Mai, dass LGBT-Gewaltopfer fast doppelt so oft Selbstmordversuche begehen und doppelt so oft Missbrauch durch Familienmitglieder erfahren als heterosexuelle Gewaltopfer.

Die Ergebnisse dieser beiden Studien zeigen, dass das Bild, was Khan bei der Parade von London wiedergegeben hat, zwar eine richtige politische Geste ist – aber lebensweltlich gesehen eine unerfüllte Utopie.

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