: Du bist cool so, wie Du bist
Das Ruhrgebiet kannte er nur aus dem Zug, als Grauzone auf dem Weg nach Berlin oder Hamburg. Jetzt ist der ehemalige Viva-Moderator Nilz Bokelberg eine Woche durch das Ruhrgebiet gewandert und will ihm etwas sagen
Von Nilz Bokelberg
Liebes Ruhrgebiet,
ja, okay, ich habe Dich beleidigt. Habe gedacht, Du wärst am Arsch. Habe Dich vom Zug aus gesehen und war jedes Mal traurig, weil alles so kaputt aussah. Und dann hast Du gesagt, ich würde Dich gar nicht richtig kennen. Nur aus dem Zugfenster. Aber das seist nicht Du. Denn, hast Du gefragt, wer sieht schon aus wie sein Bahnhof?
Und da hattest Du natürlich recht, Ruhrgebiet. Für mich als Rheinländer warst Du immer auch ein gewisses Mysterium. Du warst die Grauzone zwischen Zuhause und Berlin oder Hamburg. Du warst da, aber irgendwie wusste ich nie, wo man denn eigentlich hin soll. Nach Bochum oder Dortmund? Recklinghausen oder Gelsenkirchen? Essen oder Duisburg? Was ist denn jetzt das Ruhrgebiet? Wo soll man anfangen?
Nach all den Jahren des Unwissens, aber der grundsätzlichen Sympathie wurde es dann Zeit für mich zu handeln. Und ich wollte es so gerecht wie möglich machen: Was ist die langsamste, also auch aufmerksamste Reisemöglichkeit? Wie also kann ich Dich am besten, am authentischsten kennenlernen?
Na klar, beim Laufen. Und wenn ich mich nicht entscheiden kann, was ich mir genau ansehen soll, gucke ich mir eben alles an. Deswegen fuhr ich mit dem Zug bis Moers, und dann ging es los, einmal quer durch Dich hindurch, liebes Ruhrgebiet. Ein bisschen im Zickzack, um so viele Städte wie möglich zu sehen. Eine Woche, von Moers bis Dortmund, zu Fuß. Ich wollte Dich kennenlernen, Ruhrgebiet, so wie Du es verdienst.
Und ich habe viel gesehen, viel Beton, aber auch viel Grün. Viel Vergessenes und vieles, was man vergessen kann. Ich hab mich allermeistens wohlgefühlt, Ruhrgebiet. Du bist wirklich das Westdeutscheste, was man erleben kann. Was man sich überhaupt vorstellen kann. Fanta-Werbung aus den 70ern klebt an deinen Buden. Fußball ist überall. Klinkerfassaden. Der Traum vom besonderen Haus. H & M-Ballungsgebiet. Parkplätze. Die ganze Gegend hat alles schon gesehen. Von den besten bis hin zu den schlechtesten Zeiten.
Zum Beispiel Duisburg-Ruhrort, das habe ich gleich zu Beginn meiner Wanderung erlebt. Ich habe nichts erwartet, und dann war da plötzlich dieses kleine Juwel, diese Insel – alt und verbraucht, aber behutsam hergerichtet und schick gemacht. Wie schön das ist. Dort hab ich auch das ältere Paar gesehen, das sich alleine mitten auf einer Wiese sonnte und das ich von einer Brücke aus beobachten konnte. Du bist wirklich ein friedliches Stück Erde, Ruhrgebiet. Eines Morgens hab ich mir im Supermarkt ein Brötchen gekauft. Und die einzig freie Bank, die ich gefunden habe, war an einer stillgelegten Bushaltestelle vor einer Baustelle. Mit einem tollen Riesenbohrer wurde dort gearbeitet. Du kannst auch aufregend sein, Ruhrgebiet. Man muss halt nur genau hinsehen. Und dreckig kannst Du sein.
Verlassene Betonwüsten findet man überall. Genauso wie belebte Betonwüsten, zum Beispiel das Rieseneinkaufszentrum Centro (korrekte Pottaussprache „TZENNNTRO“ – so zumindest sagt es mein Castrop-Rauxeler Freund Micky) in Oberhausen, dessen Restaurantmeile eine Leistungsschau deutscher Systemgastronomie ist. Ich ging durch Straßen, in denen man nicht tot überm Gartenzaun hängen will. Und dieser oft beobachtende Wettbewerb, wer die größte Deutschlandfahne in seinem Garten hängen hat, hat auch etwas latent Unangenehmes. Da hat man dann gelegentlich das Gefühl, dass Du Federn lassen musstest, Ruhrgebiet. Dass Dein Selbstbewusstsein angegriffen wurde. Dass Dir die starke Industrie fehlt.
Nilz Bokelberg
41, ist Fernseh- und Radiomoderator. Bekannt wurde er neben Heike Makatsch als Videojockey beim Musiksender Viva.
Doch glaub mir: Du bist cool so, wie Du bist. Wirklich. Verstell Dich nicht, fall nicht auf Idioten rein. Du weißt es doch besser. Du hast alles gesehen, Dir kann niemand etwas vormachen, stolzes Ruhrgebiet.
Weißt Du, was auch interessant an Dir ist? Alles geht ineinander über, Ruhrgebiet. Man hat keine Ahnung, wo eine Stadt anfängt oder ein Dorf aufhört. Ich verstehe nicht, wie hier Städterivalitäten entstehen können – es ist doch alles eins! Aber klar, dann gibt es ja noch den allgegenwärtigen Fußball.
Ruhrgebiet, Du warst fast so, wie ich es mir auch vorgestellt hatte. Ich habe mich an vieles erinnert gefühlt. Vielleicht bist Du sogar ein bisschen langweilig, Ruhrgebiet. Du bist im Grunde genommen eine einzige riesige Vorstadt. The biggest suburb of the universe.
Und, ganz eventuell, der beste Platz zum Leben.
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