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Ein evangelikaler Pastor als Tauschobjekt

Die USA haben Sanktionen gegen zwei türkische Minister verhängt, weil Ankara einen US-Bürger im Land festhält. Unter Nato-Verbündeten ist der Vorgang einmalig

Soll Kontakte zu Gülen haben: Pastor Brunson Foto: Emre Tazegul/ap

Von Jürgen Gottschlich

„Historischer Bruch“, „USA erklären der Türkei den Krieg“: Die Reaktionen auf die US-Sanktionen gegen zwei türkische Minister sind heftig bis schrill. Auch das offizielle Statement des türkischen Außenministeriums lässt an Deutlichkeit nichts zu wünschen übrig: „Wir protestieren gegen diesen beispiellosen Akt, der nicht ohne Gegenmaßnahmen bleiben wird.“

Tatsächlich ist der Vorgang unter Nato-Verbündeten bislang einmalig: Am Mittwochabend hatte das Weiße Haus in Washington erklärt, man werde gegen den türkischen Innenminister Süleyman Soylu und den Justizminister Abdülhamit Gül Sanktionen verhängen. Eventuelles Vermögen der beiden Minister in den USA werde eingefroren. Zudem werde eine Einreisesperre verhängt.

Die beiden Minister werden für die andauernde Inhaftierung des US-amerikanischen Pastors Andrew Brunson verantwortlich gemacht. Brunson, der seit mehr als zwanzig Jahren einer kleinen evangelikalen Gemeinde im türkischen Izmir vorsteht, wurde im Dezember 2016 festgenommen, weil er angeblich Kontakte sowohl zur kurdischen PKK als auch zur Sekte des Fethullah Gülen haben soll, die für den Putschversuch im Juli 2016 verantwortlich gemacht wird.

Hatten die USA sich zunächst hinter den Kulissen um seine Freilassung bemüht, protestierten US-Offizielle zuletzt bis hin zu Präsident Donald Trump auch öffentlich gegen die anhaltende U-Haft. Als Brunson daraufhin zwar entlassen, aber unter Hausarrest in Izmir gestellt wurde, forderten Trump und Vizepräsident Mike Pence ultimativ seine Freilassung. Als die türkische Justiz keine Anstalten machte, Brunson gehen zu lassen, folgten die Sanktionen gegen die beiden Minister.

Damit haben die USA zunächst allerdings nur erreicht, dass sich auch der größte Teil der türkischen Opposition – die sozialdemokratisch-kemalistische CHP und die rechtsnationale İyi-Partei – in einer gemeinsamen Erklärung mit der Regierung gegen die „beispiellose Weise“ verwahrte, in der die Minister „angegriffen“ würden. Auch oppositionelle Medien wie die Zeitung Sözcü sprachen von „skandalösen Sanktionen“, das Nachrichtenportal Odatv vom „Krieg gegen die Türkei“.

„Wir haben in Amerika einen Besitz: Fetö“

Süleyman Soylu, türkischer Innenminister

Mit dem innenpolitischen Rückenwind kündigte Außenminister Mevlüt Çavuşoğlu an, man werde „hart zurückschlagen“. Der betroffene Innenminister Süleyman Soylu verkündete am Donnerstagmorgen gar auf Twitter: „Wir haben in Amerika einen Besitz: Fetö. Den werden wir nicht dort lassen. Wir werden ihn holen!“

Soylus Statement unterstreicht, worum es in dem Konflikt eigentlich geht: Seit dem Putschversuch vor gut zwei Jahren fordert die Türkei die Auslieferung Gülens („Fetö“), der seit 1999 in den USA lebt. Pastor Brunson dient dabei als „Tauschobjekt“, das man ausreisen lassen will, sobald die USA Gülen ausliefern. Der Konflikt hat sich jetzt so weit hochgeschaukelt, dass es sowohl für die USA als auch für die Türkei schwierig wird, eine gesichtswahrende Lösung zu finden.

Die türkische Lira verlor nach der Verhängung der US-Sanktionen weiter an Wert. Die Börse rutschte erneut ins Minus. Die türkische und die amerikanische Regierung sind sich auch über ihr Vorgehen in Syrien uneinig. Die USA kritisieren, dass die Türkei Luftabwehrsysteme in Russland kaufen will.

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