Die Wahrheit: Scooterman jagt einen bösen Hund
Mit dem Schrei eines Mädchens in einem Park beginnt eine innere Zeitreise zurück an die Nordseeküste, wo die Cousins einen Pudel piesacken.
N eulich war Scooterman gezwungen, sich einer jahrzehntealten Angst zu stellen. Das Wetter war gut, die Laune passte sich an, die Multiple Sklerose, die dem Scooterman das Leben gern schwer machte, war im Griff – und so gondelte der Scooterman bereits eine halbe Stunde nach dem Aufstehen durch den Berliner Schlosspark. „Hilfe! Mama, hilf mir, da ist ein böser Hund!“, hörte er plötzlich ein kleines Mädchen rufen. Gut, das kleine Mädchen war ungefähr 25 Jahre alt und mindestens einen Meter sechzig groß. Trotzdem spürte der Scooterman, wie es plötzlich auf eine weite innere Zeitreise ging.
Vor vielen Jahren, es mag 1970 gewesen sein, wurde der damals noch fehlerfrei durch Cuxhaven springende Scooterman von seiner Mutter ins Auto gesteckt. Die Fahrt führte nach Groden, was man in etwa mit einer Fahrt von Berlin-Charlottenburg nach Berlin-Neukölln vergleichen kann. Jedenfalls, was den sozialen Standard der Viertel anging.
In Groden wohnte eine Schwester seiner Mutter. Die hatte zwei Kinder namens Jens und Bernd. Und einen hysterischen weißen Pudel namens Bello. Vielleicht hieß auch der Pudel Bernd und einer der Jungs Bello? Auf jeden Fall mochte man sich nicht. Die Schwestern mochten sich übrigens auch nicht besonders. Doch die hatten immerhin noch die Möglichkeit, Kaffee und Kuchen als Barrieren zwischen sich zu stellen. Jacobs Krönung. Mit Dosenmilch. Und Baumkuchenecken. Man war ja schließlich nicht bei armen Leuten. Das sollte die Schwester ruhig mal spüren.
Währenddessen war Scooterman dem Gelächter und den bösen Scherzen der Jungs aus Groden völlig schutzlos ausgeliefert. Sobald Scooterman ihnen den Rücken zudrehte, piesackten sie den hysterischen Pudel mit Stöcken. Bis Bello irgendwann Anlauf nahm und sprang. Eine Sekunde später krallten sich dessen Pfoten in der Kopfschwarte von Scooterman fest. Zwei weitere Sekunden später begannen die Schmerzen. Scooterman schlug mit beiden Händen um sich. Er konnte den Angreifer zwar nicht sehen. Doch da er sich so ruckartig bewegte, rutschte Bello ab und fiel in den frisch gemähten Rasen.
Kurz danach waren die Schwestern da. Und klärten die Schuldfrage. Noch Jahre später wurde der Scooterman ausgelacht, sobald jemand das Gespräch auf Bello brachte. War diese Geschichte vielleicht sogar der Grund dafür, dass Scooterman nur wenige Wochen nach dem letzten Schultag einen Zug nach Berlin nahm? Und sich bis heute niemals ernsthaft fragte, ob er jemals an die Elbmündung zurückkehren würde?
Wahrscheinlich nicht. Fest steht allerdings: Auch an diesem Sonntag, gleich nachdem er von seiner spontanen Zeitreise zurückkehrte, verschwendete er keinen Gedanken daran. Nur der böse Hund war immer noch da gewesen, und er ängstigte das Mädchen. Grund genug für Scooterman, Strom zu geben. Der Hund schaffte es gerade noch hinter den nächsten Baum.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
Starten Sie jetzt eine spannende Diskussion!