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Kopfrechnen – die neue Disziplin in Bayern

Jahrzehnte war kaum etwas so vorhersehbar wie der Wahlausgang in Bayern. Doch aktuell ist die CSU weit von der Alleinregierung entfernt. Eine knifflige Regierungsbildung lauert

Kopf­schmerzen? Ach wo. Wenn es schlecht ausgeht, war’s der Söder, denkt sich Seehofer Foto: Michael Kappeler/dpa

Aus München Dominik Baur

Ein kleiner Paukenschlag war es dann doch, als das Ergebnis des neuen Bayerntrends am Mittwoch bekannt gegeben wurde. Die Umfragen im Auftrag der BR-Sendung „Kontrovers“ gelten als die wichtigsten Stimmungsbarometer im Freistaat. 38 Prozent für die noch allein regierende CSU – dass gab’s noch nie.

Manch einer spekuliert nun, dass sich Ministerpräsident Markus Söder von einer solchen Wählerwatschn nicht erholen würde, sollte sich der Trend im Oktober auch nur im Ansatz im Wahlergebnis manifestieren.

Klar, Umfragen sind keine Wahlergebnisse, die Landtagswahl ist erst am 14. Oktober, 55 Prozent der Wähler sind noch unentschlossen, und überhaupt: Überraschungen am Wahlabend sind mittlerweile weniger Ausnahme denn Regel.

Söder jedoch baut schon seit Längerem vor: Während Horst Seehofer nach seinem Sturz stets versuchte, die Messlatte für seinen Nachfolger und Erzrivalen möglichst hoch zu hängen und an die absolute Mehrheit erinnerte, die es zu verteidigen gelte, dämpfte Söder seinerseits die Erwartungen und verwies bei allen Hiobsbotschaften darauf, dass die Schuldigen in Berlin säßen. Will heißen: Auch wenn die CSU mit mir als Spitzenkandidaten eine Niederlage einfährt, bin ich hinterher der richtige Mann, um sie aus dem Dreck zu ziehen – mit dem Wahlergebnis hatte ich nichts zu tun.

Ablesen lassen sich aus dem aktuellen Bayerntrend vor allem zwei Dinge. Erstens: Es wird vieles anders werden im Bayerischen Landtag. Zweitens: auch anders, als man denkt. Ein Einzug der AfD in den Bayerischen Landtag dürfte kaum zu verhindern sein, auch wenn die Partei ihre Umfragewerte aktuell nicht weiter ausbauen kann und bei 12 Prozent verharrt.

Triumphieren könnten derzeit vor allem die Grünen. Sie kommen laut Umfrage auf 16 Prozent und wären zweitstärkste Kraft im Land. Dass sie ihren Jubel zügeln, liegt vor allem daran, dass sie sich noch gut an die letzte Wahl erinnern: Vor exakt fünf Jahren lagen sie auch schon mal bei 15 Prozent. Bei der Wahl im September reichte es dann gerade mal für 8,6 Prozent.

Auch die Freien Wähler, die sich als bürgerliches Korrektiv zur CSU betrachten und offensiv eine Koalition mit ihr anstreben, legen momentan zu – auf 9 Prozent.

Wie sehr sich die Kräfte in Bayern verschieben könnten, zeigt sich auch daran, dass SPD-Generalsekretär Uli Grötsch mittlerweile als Wahlziel ausgibt, die Grünen einzuholen. In der aktuellen Umfrage liegt seine Partei gerade noch bei 13 Prozent. Im aktuellen Landtag ist die SPD mit mehr als doppelt so vielen Abgeordneten vertreten wie die Grünen.

Grüne, SPD, Freie Wähler oder FDP sind bereit, Ex-CSU-Wählern eine Heimat zu bieten

Die CSU ihrerseits zieht sich aktuell aus der politischen Mitte zurück. Was als Ausdehnung nach rechts geplant war, geriet zu einer Verschiebung. Das Vakuum, das nun in der Mitte entsteht, ist heiß umkämpft: Ob Grüne, SPD, Freie Wähler oder FDP – alle sind sie nur zu gern bereit, wertkonservativen und liberalen Ex-CSU-Wählern eine neue Heimat zu bieten. Doch auch Söder dürfte seine Wandlungsfähigkeit noch unter Beweis stellen und versuchen, als vermeintlich liberaler Landesvater das Terrain zurückzugewinnen. Die Entscheidung könnte nun doch in der Mitte fallen.

Für die Mandatsverteilung besonders wichtig wird die Anzahl der Parteien sein, die den Sprung über die Fünfprozenthürde schaffen. Die FDP, mit deren Wiedereinzug ins Parlament man zuletzt fest rechnete, ist auf exakt 5 Prozent abgerutscht, die in Bayern nahezu unsichtbare Linke dagegen kommt jetzt immerhin schon auf 4 Prozent. Sie könnte vom Frust vieler SPD-Wähler profitieren. Das Problem der Bayern-SPD ist, dass sie stark mit der Politik der Großen Koalition in Berlin assoziiert wird.

Eine Regierungsmehrheit gegen die CSU wird kaum zustande kommen – selbst für den unwahrscheinlichen Fall, dass CSU und AfD auf weniger als die Hälfte der Mandate kämen. Vor zehn Jahren hätten SPD, Grüne, Freie Wähler und FDP schon einmal eine rechnerische Mehrheit gehabt. Doch dann zog die FDP es vor, mit der CSU gemeinsame Sache zu machen.

So ist es zwar noch nicht ausgemacht, ob es Söder ist, der ­Bayerns nächstem Kabinett ­vorstehen wird, aber eines dürfte feststehen: Es wird einE CSUlerIn sein.

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