Kommentar Geflüchtete in Europa: Salvinis Erpressung
Die von Frontex geretteten Geflüchteten werden von Italien auf weitere EU-Länder verteilt. Eine humane Geste – im Kontext inhumaner Politik.
D as ist doch mal ein positives Signal. Gleich fünf EU-Staaten – Deutschland ist auch dabei – erklärten sich am Wochenende bereit, 250 der 450 Flüchtlinge zu übernehmen, die in der Nacht zum Montag im sizilianischen Pozzallo an Land gingen.
So wünschen wir uns doch eigentlich Europa: als Kontinent, der sich geeint und solidarisch zeigt bei der Aufnahme, der sich nicht als Sammelsurium von Staaten präsentiert, die jeder für sich die Grenzen dicht machen.
Und doch will über die Entscheidung keine Freude aufkommen – außer bei Italiens Innenminister Matteo Salvini. Er nämlich hat die anderen Staaten der EU schlicht erpresst, indem er die Flüchtlinge gleichsam als Geiseln nahm, sie zwang, tagelang unter der gleißenden Mittelmeersonne an Bord der beiden Schiffe der italienischen Finanzpolizei und der britischen Marine auszuharren.
Ausgerechnet damit erreichte er, was alle politischen Kräfte Italiens fordern, was den Vorgängerregierungen jedoch versagt blieb – die europäische Solidarität mit Italien bei der Flüchtlingsaufnahme. Er darf jetzt den Triumph auskosten, dass ausgerechnet sein rüdes Vorgehen gegen die Flüchtlinge sich auszahlt, dass er jene Zugeständnisse erreicht, die zum Beispiel seinem Ministerpräsidenten Giuseppe Conte noch auf dem EU-Gipfel am 28. und 29. Juni verweigert wurden.
So steht Salvini plötzlich als der Mann da, der Europas Binnengrenzen für Flüchtlinge durchlässiger macht. Dabei geht es ihm um das Gegenteil: nicht um offenere Grenzen, sondern um geschlossene Häfen.
Das exerzierte er erst mit den NGO-Schiffen durch, mittlerweile trifft seine Blockadepolitik sogar Schiffe des italienischen Staates und der EU-Mission Frontex. Umverteilung der wenigen, die überhaupt noch kommen, statt Aufnahme – dies ist sein offen verkündetes Programm. Letzten Endes hat Europa sich mit der Übernahme der 250 Flüchtlinge auf dieses Spiel eingelassen. Gewiss, eine humane Geste. Doch sie steht im Dienst einer inhumanen Politik.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Exklusiv: RAF-Verdächtiger Garweg
Meldung aus dem Untergrund
Wahlprogramm von CDU und CSU
Der Zeitgeist als Wählerklient
Keine Konsequenzen für Rechtsbruch
Vor dem Gesetz sind Vermieter gleicher
Anschlag in Magdeburg
Auto rast in eine Menschenmenge auf dem Weihnachtsmarkt
Anschlag auf Magdeburger Weihnachtsmarkt
Vieles deutet auf radikal-islamfeindlichen Hintergrund hin
Russische Männer auf TikTok
Bloß nicht zum Vorbild nehmen