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Sturz der Siegesgöttin

In den Extremen eine Mitte: Das Gerhard-Marcks-Haus befasst sich in Wolfgang Friedrichs Ausstellung „Idyllen und Katastrophen“ mit kleinen Plastiken und großen Geschichten

Konflikte mit dem System verlegten DDR-Künstler wie Wolfgang Friedrich in ihre Figuren Foto: Wolfgang Friedrich/Gerhard-Marcks-Haus

Von Florian Maier

Fällt sie gerade vom Himmel? Schon beim Betreten des Gerhard-Marcks-Hauses ist eine herabstürzende Frau sichtbar. Anhand der Flügel und der vor Stolz geschwellten Brust ist Nike, die griechische Siegesgöttin, erkennbar. In dieser Plastik ist sie kopfüber an einem langen Stab in der Mitte des großen Raums angebracht. Ihr gegenüber liegt eine in ein Tuch gehüllte Frau in Embryonalhaltung auf dem Boden und vergräbt ihr Gesicht zwischen den Knien.

Das Gerhard-Marcks-Haus zeigt „Idyllen und Katastrophen“ von Wolfgang Friedrich in Bremen. Der Künstler befasst sich in seinen teilweise antik wirkenden, figürlichen Plastiken und Collagen mit dem klassischen Menschenbild. Er beleuchtet dieses von verschiedenen gegensätzlichen Seiten und stellt sie einander gegenüber.

Es ist egal, wohin man den Blick richtet, man sieht immer ein Objekt des Künstlers. Aber trotz der Masse an über 100 Exponaten wirkt der vor einem liegende Raum still. Alles scheint seine Ordnung zu haben. Symmetrisch stehen Glaskästen aneinandergereiht im großen Raum des Museums. An den Wänden hängen Collagen und Reliefs. Sogar auf den Handläufen der Treppe sind kleine Plastiken angebracht.

Die meisten Objekte sind nicht größer als ein menschlicher Kopf. „Das kleine kann niedlich sein, das Große peinlich werden“, steht deutlich zu lesen an die Wand geschrieben. In der Ablehnung des Großen lässt sich die Opposition zum Paradigma in der DDR geschaffener Kunst erkennen. Das Abbilden von Leid stand im Widerspruch zum Selbstbild des Arbeiterstaates.

Einige Bildhauer*innen lösten dies, indem sie Konflikte in individuelle Figuren verlegten. Toni Stadler und der Namensgeber des Museums, die selbst Bilder ihrer Konflikte in erschaffene Objekte legten, nennt der 1947 in Torgau geborene Wolfgang Friedrich als Inspirationsquelle für seine Plastiken. In den 1970ern studierte und lehrte er an der Hochschule für bildende Künste Dresden. Danach arbeitete er als freischaffender Bildhauer in Rostock.

Der Bezug zu Marcks macht Friedrich nun für das Bremer Museum interessant. Gerhard Marcks selbst hat über die politische Trennung Deutschlands hinweg stets Kontakt zu seinen Kolleg*innen in der DDR gehalten.

Friedrich erzeugt Figuren, nur steht das Erschaffen nicht im Vordergrund, sondern die Anordnung. In den einzelnen Glaskästen stellt er liebevoll die Plastiken zusammen, lässt sie miteinander interagieren oder aber sich ausdrücklich gegenseitig ignorieren.

Gleichzeitig ergeben sich Spannungen durch das Erzeugen von Gegensätzen. Betrachtet man die Ausstellung etwa von einem weiter entfernten Standpunkt, fällt auf, dass oft Gegensätze auf der jeweils anderen Seite des Raumes zu finden sind. Das freizügig Leichte wird so dem Verschlossenen gegenübergestellt: das Dynamische der ruhenden Pose. Man möchte rote Fäden zwischen den gegensätzlichen Plastiken ziehen, aus Freude darüber, eine weitere Verknüpfung gefunden zu haben.

Wolfgang Friedrichs Strategie der Gegensätze prägt bereits die Auswahl seiner Materialien. Man staunt, wenn sich etwa ein vermeintlicher Bronzeguss auf den zweiten Blick als Stein herausstellt, welcher mit Wachs umhüllt ist. Der Künstler spielt damit genauso wie mit der Anordnung und stellt so immer weitere Kontraste seiner Werke in den Vordergrund.

Diese Gegenüberstellungen gipfeln in der Aufteilung der Flügelräume links und rechts. Hier separiert der Künstler Ordnung von Unordnung. Während der eine Raum Gefahren und die Welt als Spielfeld behandelt, sind im nächsten Arbeiten zu sehen, die die Figuren sehr stark aus ihrer Umgebung heraustrennen.

Die Ablehnung des Großen stand im Widerspruch zum ästhetischen Leitbild der DDR. Weil es im sozialistischen Arbeiterstaat nicht angesagt war, Leiden abzubilden. Die Künstler fanden aber doch einen Weg

Die hier ausgestellten Collagen und Aquarelle zeigen Unterwasserwelten oder Küstenpanoramen. Die Architektur und Strukturiertheit der bespielbaren Räume stehen hier deutlich im Vordergrund.

Auch die Begriffe „Katastrophe“ und „Idylle“ wirken auf den ersten Blick wie Gegensätze, die eine Beziehung miteinander unterbinden. Klar kann eine Katastrophe das Idyll zerstören, doch kann eine Katastrophe eben letztendlich auch zum Idyll führen. Auch eine Gleichzeitigkeit beider Zustände ist durchaus möglich. Gerade in der antiken Tragödie ist das Idyll ja auch oft Vorbote für eine Katastrophe.

Die Skulpturen erscheinen hier wie archäologische Funde. Der Künstler nennt sogar eines seiner Werke „Ausgrabung“. Die dargestellten Figuren und deren Geschichte sind nach griechischen Mythen bekannt. Wolfgang Friedrich spricht von einer „Vergegenwärtigung des antiken Erbes auf dem Horizont der heutigen Erfahrung“. Daraus verfremdet er die ursprünglich als Inspiration gesehenen Skulpturen und macht sie sich zu eigen.

„Ich sehe meine Arbeit als Gratwanderung hin zur eigenen Mitte“, sagt der Künstler über sein Werk. Wo die liegt? Schwer zu sagen bei der Arbeit mit den Extremen. Irgendwo dazwischen. Statt eine bloße Interpretation von außen zuzulassen, verleibt er die Mitte seinem Werk ein und formt diese „Welt als Modell, in dem das Auge lange wandern kann, ohne anzukommen“.

„Idyllen und Katastrophen“ aus dem Werk von Wolfgang Friedrich ist im Gerhard-Marcks-Haus in Bremen noch bis zum 16. September ausgestellt. Ein Katalog zum Preis von 24,50 Euro ist dort erhältlich

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