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10 Sekunden für die Ewigkeit

Ein perfekter Konter, ein perfektes Tor. Belgien steht nach dem 3:2 über Japan im Viertelfinale – und denkt schon ans Finale: „Wir haben noch drei Spiele“, sagt Kevin De Bruyne vor dem Duell mit Brasilien

Aus Rostow Andreas Rüttenauer

Reden wir über das Wollen! Wer es mehr will, der gewinnt. So einfach wird im Fußball manchmal auch Unerklärliches erklärt. Der unbedingte Siegeswille sei es gewesen, der seinem Team das 3:2 in der Nachspielzeit ermöglicht habe, meinte Belgiens Trainer Roberto Martinez nach dem Sieg gegen Japan in einer magischen Nacht von Rostow. Es war ein Konter von gespenstischer Perfektion, der den Belgiern in der vierten Minute der Nachspielzeit den Sieg eingetragen hat, nachdem sie bis zur 65. Minute mit 0:2 zurückgelegen hatten.

Wollten die Japaner da nicht mehr? Doch, sie wollten es genauso wie die Belgier. Genau deshalb haben sie verloren. Sie, die nun wahrlich nicht die Favoriten waren in diesem Spiel, legten es nicht darauf an, irgendwie in die Verlängerung zu kommen. Sie wollten mit aller Macht gewinnen und schlugen trotz körperlicher Unterlegenheit eine Ecke als Flanke vor das Tor. Es hätte die letzte Flanke des Spiels sein können, die letzte Chance. Sie wollten es unbedingt. Genau deshalb haben sie verloren. Weil sie es zu diesem belgischen Konter haben kommen lassen, der – wenn sie denn die Bilder davon sehen – auch die größten Fußballbanausen einfach ins Schwärmen bringen muss, so schön war er.

Belgiens Torwart Thibaut Courtois, der die Flanke fängt und den Ball zu Kevin De Bruyne rollt, als wisse er genau, was jetzt folgt. Der Spielmacher, der den Ball bis zehn Meter hinter der Mittellinie treibt. Der Stürmer Romelu Lukaku, der sich schon einmal dahin bewegt, wo er sich am wohlsten fühlt, ins Sturmzentrum, um so Platz zu schaffen für den mitgelaufenen Thomas Meunier. Der Außenverteidiger, der auch nach mehr als 90 Minuten noch in der Lage ist in hohem Tempo nach vorne zu sprinten und sich anzubieten. Der perfekte Pass auf ihn. Das Auge von Lukaku, der sieht, dass hinter ihm Sturmkollege Nacer Chadli viel einfacher zum Abschluss kommen kann als er, und der zeigt, wie schön es sein kann, wenn einer mal den Ball nicht spielt. Und am Ende das einfache Tor nach einem millimetergenauen Zuspiel. Wer da nicht in die Knie geht, hat Fußball nie geliebt. 10 Sekunden für die Ewigkeit. Belgier jubeln, Japaner weinen.

Solche Tore kann nur eine wahre Mannschaft erzielen. Das ist es, worüber wir reden sollten! Den Belgiern scheint es endlich gelungen zu sein, ihr Zusammenspiel zu optimieren. Das hat nicht ausgesehen wie eine Nationalmannschaft mit ein paar Könnern, die irgendwie zusammenspielen, und weil sie es so gut können, entsteht daraus auch schon mal schöner Fußball. Nein, bei den Belgiern weiß jeder, was er zu tun hat, oder eben nicht zu tun hat, wie Lukaku in der allerletzten Minute des Spiels. Man hatte den Eindruck, da spiele eine Klubmannschaft, so eingespielt sah das schon aus bevor die Japaner in Führung gingen. Und das fast schon verrückte ist: Auch als Japan durch einen Fernschuss von Inui auf 2:0 erhöhte, hatte man das Gefühl, dass Belgien noch nicht verloren war.

Zwar hat Martinez zu recht den Charakter seines Teams gelobt, er hat aber auch betont, wie oft es seinen fünf Angriffsspielern gelungen sei, Chancen zu kreieren. In der Tat hat es Belgien geschafft, aus dem Ballbesitz heraus immer wieder Tempo zu entwickeln. Geht doch, möchte man denen zurufen, die das Ende des Ballbesitzfußballs herbeireden.

Vor 48 Jahren ist es zum letzten Mal passiert, dass eine Mannschaft in einem K.o.-Spiel einen 0:2-Rückstand gedreht hat. In Mexiko ist das den Deutschen gegen England gelungen. Auch beim sogenannten Wunder von Bern 1954, dem 3:2 der Deutschen gegen Ungarn, war es so. Doch von Wunder sprach an diesem Abend niemand. Es war der verdiente Lohn für Belgien.

Entsprechend schnell waren die Spieler nach dem Schlusspfiff wieder zurück auf dem Boden. Keine Freudentränen. Warum auch? Es geht weiter im Turnier. Am Freitag in Kasan steht das Spiel gegen Brasilien an. „Mal sehen, wie es aussieht, wenn wir mal nicht der Favorit sind“, meinte Kevin De Bruyne mit der Gelassenheit dessen, der weiß, was sein Team kann. Für ihn ist das Viertelfinale eh nur eine Durchgangstation. „Wir haben noch drei Spiele“, meinte er. Aha! Da will es einer unbedingt – womit wir wieder beim Thema Wollen wären.

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