Claudius Prößer über ein Flüchtlingsheim am Wannsee: Ganz schön sensibel: Fledermäuse und Villenbesitzer
Den Juchtenkäfer kennen alle. Auch wenn vielleicht die wenigsten wissen, wie das Kerbtier aussieht, das das umstrittene Mammutprojekt Stuttgart 21 zwischenzeitlich zum Straucheln brachte. Projektgefährdend können aber nicht nur Insekten, sondern auch Echsen, Vögel oder Fledermäuse sein – und man kann nicht nur fiese Verkehrs- oder Industriemoloche mit Artenschutzanliegen torpedieren, sondern auch begrüßenswertere Vorhaben. Wie etwa den Umbau eines Teils der ehemaligen Lungenklinik Heckeshorn in Wannsee zu einer Flüchtlingsunterkunft.
Zur Freude vieler AnwohnerInnen im nicht nur an Wald und Wasser reichen Ortsteil im Südwesten von Steglitz-Zehlendorf hat am Montag das Berliner Verwaltungsgericht den Baubeginn auf dem Gelände gestoppt. Weil, so die Begründung des Gerichts, „Naturschutzbehörden in das Baugenehmigungsverfahren nicht eingebunden“ worden seien. Bauen will die Berliner Immobilienmanagement GmbH (BIM) im Auftrag der Senatsverwaltung für Stadtentwicklung. Geklagt hatte der kleine Naturschutzverein Natura e. V., der sich unter anderem um die Artenvielfalt in der Berlin-Potsdamer Havelregion kümmert.
Antrag versäumt
Politischen Druck macht schon seit 2015 die Bürgerinitiative „Wannsee300“ – damals wurden rund 300 Flüchtlinge in Teilen der zumeist leerstehenden und gerne für Filmdrehs genutzten Gebäude untergebracht, und das Bezirksamt stellte Überlegungen an, eine deutlich größere Zahl an Plätzen bereitzustellen. Die Menschen von „Wannsee300“ nennen sich zwar „überparteilich“ und distanzieren sich „von jeglicher Form von Fremdenfeindlichkeit“, fürchten aber eine „Überforderung“ der gut situierten Nachbarschaft. Die AfD schert sich wenig um eine etwaige Überparteilichkeit und unterstützt das Anliegen nach Kräften.
Aber allzu viel Grund zum Jubeln hat sie auch jetzt nicht. Denn bei Nachfrage in der Stadtentwicklungsverwaltung stellt sich schnell heraus, dass der nun verhängte Baustopp (übrigens geht es nicht um sogenannte Modulare Unterkünfte, sondern um die Instandsetzung der Altbauten) nicht lange währen dürfte: Alles, was bislang offenbar versäumt wurde, war ein formaler Antrag der BIM bei der Obersten Naturschutzbehörde – und die hat sich bereits positiv geäußert: „Unter Berücksichtigung der beschriebenen Schutz- und Vermeidungsmaßnahmen“ sehe man „keine Konflikte mit artenschutzrechtlichen Bestimmungen“, heißt es in einem internen Schreiben der Behörde. Ganz so sensibel wie schwäbische Juchtenkäfer oder Berliner Villenbesitzer scheinen die Fledermäuse von Heckeshorn nicht zu sein.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen