Eher Kellner als Ärztin

Ein Viertel der Flüchtlinge, die seit 2015 nach Deutschland kamen, arbeitet mittlerweile. In fünf Jahren könnte es die Hälfte sein. Als Fachkräfte kommen viele noch nicht infrage

Wohin führt ihr Weg? Job- und Ausbildungsbörse für geflüchtete Menschen in Berlin-Neukölln Foto: Jens Jeske

Von Hannes Koch

Groß sind die Hoffnungen auf beiden Seiten. Viele, vermutlich die meisten Flüchtlinge, die seit 2015 nach Deutschland kamen, wollen hier arbeiten. Auch Politiker*innen, Ökonom*innen und Unternehmer*innen sehen in ihnen Arbeitskräfte, die angesichts der aktuellen Hochkonjunktur und des befürchteten Beschäftigtenmangels Lücken stopfen sollen. Wie ist der aktuelle Stand der Dinge?

1 Wie viele Flüchtlinge fanden bisher Arbeit?

Etwa 25 Prozent der Migrant*innen aus Kriegs- und Krisenländern sind inzwischen berufstätig, sagt das Institut IAB, das zur Bundesagentur für Arbeit gehört. Zwischen Februar 2017 und Februar 2018 ist diese Zahl um 8 Prozentpunkte gestiegen. Geht man von 1,4 Millionen Zuwanderern 2015 bis 2017 aus, so würden nun 350.000 von ihnen arbeiten.

2 Welche Tätigkeiten haben sie?

Dass Syrer, Afghanen oder Iraker jetzt hierzulande als Ärzte, Lehrer oder Ingenieure arbeiten, ist die Ausnahme. Etwa 5 Prozent der Beschäftigten üben Berufe aus, die ein Hochschulstudium voraussetzen. Gut 40 Prozent sind als Fachkräfte mit Berufsausbildung tätig. „Und etwa die Hälfte führen helfende Tätigkeiten aus“, sagt Herbert Brücker, Migrationsforscher beim IAB in Nürnberg. Das sind Arbeiten, für die man keine Ausbildung braucht – sie räumen Teller in Restaurants ab, arbeiten in der Küche, verkaufen Gemüse auf dem Markt oder schuften bei Reinigungsdiensten.

3 Wie kann es weitergehen?

„Wenn sich der Beschäftigungszuwachs so fortsetzt, hat nach fünf Jahren die Hälfte der Zuwanderer eine Arbeit“, sagt Herbert Brücker. Dieser Zustand wäre ab 2020 erreicht. Und zehn Jahre nach dem Beginn der großen Einwanderung könne man damit rechnen, dass etwa 70 Prozent der Migranten beschäftigt sind.

4 Wäre das ein gutes Ergebnis?

Die jüngste Einwanderung lässt sich mit der Migration Ende des 20. Jahrhunderts vergleichen, unter anderem der Fluchtbewegung aus dem zerfallenden Jugoslawien. IAB-Forscher Brücker: „Die neuen Flüchtlinge seit 2015 finden ähnlich schnell Arbeit wie ihre Vorgänger in den 1990er Jahren, vielleicht geht es jetzt sogar ein bisschen rascher.“ Damals waren die Einwanderer zwar besser qualifiziert, weil Jugoslawien ein hochentwickeltes Bildungssystem besaß. Doch die Arbeitslosigkeit in Deutschland lag damals höher als heute. Das hemmte den Einstieg in den Arbeitsmarkt.

5 Wie steht es denn um die Bildung der Flüchtlinge?

Rund 44 Prozent der Geflüchteten haben eine Grund- oder Mittelschule absolviert, ebenso viele eine höhere Schule. Eine Berufsausbildung können nur 7 Prozent vorweisen, einen Hochschulabschluss 17 Prozent. Das Bildungsniveau der neuen Zuwanderer ist damit erheblich niedriger als das der hiesigen Arbeitnehmer.

6 Also lösen die Flüchtlinge gar nicht das oft zitierte „Fachkräfteproblem“?

Es wird befürchtet, dass in den kommenden Jahrzehnten in der Bundesrepublik Millionen Beschäftigte mit solider Berufsausbildung (Techniker, Gesundheitspersonal) und Spezialisten mit Studienabschlüssen (unter anderem IT-Ingenieure und Lehrer) fehlen. Angesichts dieser hohen Zahl klingt es nur wie eine gute Nachricht, wenn die Bundesvereinigung der Arbeitgeberverbände (BDA) vermeldet: „Ende September 2017 absolvierten rund 28.000 Flüchtlinge eine Berufsausbildung.“ IAB-Forscher Brücker ist deutlicher: „Die Flüchtlinge werden einen Beitrag leisten, das Fachkräfteproblem zu mildern. Die Mehrheit wird aber vermutlich auch später eher einfache Jobs machen. Die Hauptsache ist, dass sie überhaupt arbeiten.“ Wido Geis vom Institut der deutschen Wirtschaft in Köln sieht es ähnlich: „Die oftmals sehr geringen Qualifikationen der Flüchtlinge stehen vielen beim Aufstieg zu besser bezahlten Fachkrafttätigkeiten im Wege.“

7 Sind die Flüchtlinge unter diesen Umständen eine Konkurrenz für Einheimische?

Es mag einzelne Beispiele geben. Insgesamt ist jedoch Platz für alle auf dem Arbeitsmarkt. Wegen des langen Aufschwungs geht die Arbeitslosigkeit immer weiter zurück. Im Mai 2018 waren nach Angaben der Bundesanstalt für Arbeit 2,3 Millionen Menschen erwerbslos. Die Quote betrug nur noch 5,1 Prozent. Parallel steigt die Zahl der Beschäftigten und der offenen Stellen. Die Angst vor der Konkurrenz der Einwanderer auf dem Arbeitsmarkt, die Rechte und manche Linke sähen, ist augenblicklich unbegründet. Das könnte sich jedoch ändern, wenn ein Abschwung kommt.

8 Gleichzeitig nimmt die Zahl der Sozialempfänger unter Flüchtlingen zu. Warum?

Zwischen Februar 2017 und Februar 2018 ist der Anteil der Flüchtlinge, die Sozialleistungen wie Hartz IV erhalten, von 54 auf 64 Prozent gestiegen. Das ist kein Widerspruch zur wachsenden Beschäftigtenzahl. „Mehr Leute erhalten Sozialleistungen, weil Geflüchtete erst nach Abschluss ihrer Asylverfahren aus diesem Topf unterstützt werden und die Leistungen, die sie vorher bekommen haben, anders finanziert sind“, sagt Ökonom Wido Geis. Ein weiterer Grund: Viele Migranten bekommen nur niedrige Löhne, weshalb sie ein Recht auf ergänzende Sozialleistungen haben.

9 Wie könnte die Integration in den Arbeitsmarkt besser funktionieren?

Wie so oft, liegt es auch am Geld. Damit weniger Geflüchtete auf Jobs mit niedriger Qualifikation hängen bleiben, müssen deutlich mehr Mittel in Schulen, Berufsschulen und Universitäten gesteckt werden. „Die Sprachkurse müssen besser und auch für mehr Flüchtlinge, beispielsweise aus Afghanistan, geöffnet werden“, fordert der Arbeitgeberverband und plädiert dafür, „dass kleine und mittlere Unternehmen bei der Integration mehr Unterstützungsangebote erhalten“. Handwerksbetriebe scheitern nicht selten daran, Zugewanderte einzustellen, weil sie die damit verbundene Bürokratie nicht bewältigen.