: „Ich war froh, als Opel zumachte“
Der Stadtforscher Jörg Bogumil über die Chancen des Ruhrgebiets
Interview Philipp Daum
taz am wochenende: Die „Deutschland-Studie“ des ZDF hat die Lebensqualität in verschiedenen Orten gemessen: Gelsenkirchen landete auf Platz 401, Duisburg auf Platz 399, Bochum auf Platz 371. Sie forschen zum Wandel im Ruhrgebiet. Hat Sie die Studie überrascht?
Jörg Bogumil: Ich halte solche Rankings für unseriös. Sie sind plakativ. Und sie stellen nicht die Wirklichkeit in diesen Räumen dar. Ruhrgebiet ist nicht gleich Ruhrgebiet.
Also: Nicht überall in Gelsenkirchen lebt man auf dem 401. Platz?
Ja. Auch in Hamburg und München haben sie schlechte Gegenden, nur nicht so viele wie im Ruhrgebiet, wo die Strukturkrise viel größer war. Wir haben eine gewaltige Hypothek.
Welche denn?
Das Ruhrgebiet war sehr monostrukturell: Es gab Kohle, Stahl, Autoindustrie. Man hatte hier immer wenige kleine und mittlere Betriebe. Deswegen dauerte es lange, Jobs aufzufangen, wenn große Arbeitgeber wegbrachen. Das Ruhrgebiet hat seit Ende der 50er Jahre 700.000 Jobs verloren. Allein in Stahl und Kohle. Und es sind – ganz grob – 350.000 neue Jobs geschaffen worden. Sie sehen die Lücke. Die Montanjobs waren ja arbeitsintensive Jobs. Heute sind es technologieintensive.
Sie schreiben in Ihren Arbeiten viel von sozialer Segregation. Ist soziale Spaltung typisch für das Ruhrgebiet?
Nein, sie ist typisch für Großstädte. Dort haben Sie Räume, wo sich Menschen sammeln, die sich nicht viel leisten können, vor allem billige Wohnungen brauchen, Hartz-IV-Empfänger, viele Migranten. Es ist aber kein Migrantenproblem, wir nennen es Unterstadtproblem, also das Problem sozialer Unterschicht. In solchen Stadtteilen gibt es eine niedrige Wahlbeteiligung, 15, 20 Prozent. Die Übertrittsquoten aufs Gymnasium liegen bei 20 Prozent, in guten Stadtteilen bei 70 Prozent. Wenn man in der Unterstadt aufwächst, sind die Chancen dramatisch schlechter: Kindergärten, Schulen, alles. Das Ruhrgebiet hat etwas mehr von solchen Vierteln als andere Städte. Und trotz vieler Bemühungen hat die Segregation zugenommen.
Warum?
Es gibt nicht mehr viele Arbeitsplätze für Menschen, die nicht mindestens einen Realschulabschluss haben. Früher: Opel am Band. Da wurden Leute aufgefangen. Die Jobs gibt es nicht mehr. Deswegen haben wir eine strukturelle Erwerbslosigkeit. Und die sammelt sich in diesen Stadtteilen.
Was kann ein Stadtteil wie Duisburg-Marxloh oder Schalke in Gelsenkirchen dagegen tun?
Man muss mehr Mittel reinstecken. Eigentlich müsste es in schwierigen Vierteln die besseren Kindergärten und Schulen geben, um diese Leute fitter zu machen und den demografischen Wandel vorzubereiten. Wir werden demnächst zu wenige Fachkräfte haben. Da sollten wir uns um solche Stadtteile kümmern. Man muss bei den Menschen das Engagement wecken, dass es sich doch lohnt, sich zu qualifizieren.
Das Ruhrgebiet war immer die Hochburg der Kümmerer-SPD. Warum hat das ganze Kümmern nicht geholfen?
Es ist manchmal einfach schwierig. Man darf Parteien auch nicht zu viel zutrauen. Wenn es keine Ausbildungsplätze und Jobs gibt, dann kann man zwar versuchen, mit Förderprogrammen gegenzusteuern. Aber man kann eine solche Entwicklung nicht mal einfach politisch umdrehen. Die SPD hat sich immer an denen orientiert, die schon einen Job hatten, an Bergleuten zum Beispiel. Deren Arbeitsplätze sind sozialverträglich abgewickelt worden. Dass die SPD sich intensiv um Erwerbslose gekümmert hat, ist mir dagegen nicht aufgefallen.
Es wurde sich zu viel um die Leute gekümmert, die schon Arbeit hatten und zu wenig um die, die gar keine bekommen haben?
Genau. Und zu wenig geguckt, wo es neue Möglichkeiten gibt. Ich war froh und glücklich, als Opel endlich zugemacht hat. Endlich. Das durfte man aber hier in Bochum nicht sagen. Damals haben 2.000 Mitarbeiter ihren Job verloren. Auf dem Opel-Gelände entsteht jetzt ein neuartiges Transfer- und Gründungszentrum mit Anbindung an die Universität und die Hochschulen. Da werden deutlich mehr Jobs entstehen, als in letzter Zeit da waren. Das braucht Zeit, um sich zu entwickeln. Aber die Abkehr von alten Strukturen kam zu spät.
Holt das Ruhrgebiet auf?
Ja, es entwickelt sich. Es hat darauf gesetzt, Wissenschaftsmetropole zu werden. Wir haben mehrere Universitäten, Fachhochschulen und außeruniversitäre Institute. Da entwickeln sich Jobs. 1963 hatten Sie keinen einzigen Studenten im Ruhrgebiet. Heute sind es 250.000, bei 5 Millionen Einwohnern. Um Dortmund herum gibt es den größten Technologiepark Deutschlands. Der ist vor 25 Jahren gegründet worden. Aber er trägt erst seit 10 Jahren richtig Früchte. Das dauert. Allerdings gab es Probleme in der Strukturpolitik.
Was meinen Sie?
Jörg Bogumil
ist Professor für öffentliche Verwaltung, Stadt- und Regionalpolitik an der Ruhr-Universität Bochum.
Vor 30 Jahren wurden überall die gleichen Technologiezentren gegründet. Das ergibt im Ruhrgebiet keinen Sinn. Es ergibt Sinn, dass bestimmte Städte bestimmte Schwerpunkte haben. Wenn alle das Gleiche machen, dann kann man sich nicht spezialisieren und marktführend werden. Wenn das Dortmunder Technologiezentrum mit München und Nürnberg konkurrieren will, dann müssen dort Ressourcen gebündelt werden. Ich kann das nicht an fünf Orten machen. Eine Region wie das Ruhrgebiet muss gemeinsam nach vorne kommen.
Gibt es diese Parallelstrukturen noch?
Es hat sich verbessert. Durch eine neu angesiedelte Wirtschaftsförderung, durch eine neue Generation von Oberbürgermeistern. Wir nennen das funktionale Differenzierung. Duisburg macht zum Beispiel Logistik. Hattingen Biotechnologie. Und Bochum Gesundheitswirtschaft. Mittlerweile ist das Land auch bereit, Ressourcen zu bündeln. So hat man in Bochum mehrere Einrichtungen im Gesundheitswesen gebündelt und diese nicht auf verschiedene Städte verteilt. Das ist aber schwierig. Denn die Kommunen wollen einerseits, dass das Ruhrgebiet gemeinsam positiv da steht. Andererseits stehen sie aber zueinander in Konkurrenz.
Wo sehen Sie das Ruhrgebiet in 10 Jahren?
Im Verhältnis zu wem? Halb so gut wie München?
So in den Rängen um die 200 von 401 vielleicht?
Nein, so mach ich das nicht. Aber ich glaube schon, dass es eine günstige Perspektive gibt. Der Strukturwandel ist abgeschlossen. Wir beginnen gerade von den Maßnahmen zu profitieren, die seit 15 Jahren laufen. Ich bin 1980 hierher gekommen, aus Hamburg. Und heute ist das Ruhrgebiet eine andere Welt. Die Lebensqualität ist deutlich besser.
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