: Die Erinnerungen der Frauen
Bei den Autorentheatertagen im Deutschen Theater sind neben der deutschsprachigen neuen Dramatik mit „Radar Ost“ zum ersten Mal auch Inszenierungen aus Georgien, Polen und Litauen vertreten
Von Katja Kollmann
„Kann man über Trauer sprechen?“ Diese Frage, einmal ausgesprochen auf der Hinterbühne des Deutschen Theaters, sie bleibt. Fünf junge Schauspielerinnen aus der georgischen Hauptstadt Tiflis umkreisen diese zeitlose Fragestellung vom ersten Bühnenmoment an. Präzise schleudern sie, auf Thonetstühlen sitzend, die Erinnerungen von Frauen an Krieg, Verlust und Tod in den Resonanzraum der Zuschauer.
Was gesagt wird und auf die Leiden der Zivilisten während der kriegerischen Konflikte in Abchasien und Südossetien nach dem Zerfall der Sowjetunion anspielt, ist bekannt. Es ist die immer gleiche Erzählung von Demütigung und Vergewaltigung bis zum Tod. Was bezwingend ist an der Inszenierung der „Trojanischen Frauen“ vom Royal District Theatre aus Tiflis ist die Verbindung einer klugen, rhythmisch präzisen Regie, die ihre ganze Kraft in den Sprechvorgang steckt, mit einer Schauspielkunst, die damit adäquat umgehen kann. Der Regisseur Data Tavadze ist 29, die Schauspielerinnen zwei Jahre jünger.
Die Schauspielerinnen stehen so auf der Bühne als Chronistinnen. In dieser Rolle bauen sie ein Energiefeld auf, dem man sich nicht entziehen kann. Kommt dann selten, aber sehr bewusst gesetzt, ein Bild, so wirkt das umso stärker: Schnittblumen, neben den Stühlen, einem Tisch und einer Wasserkaraffe die einzigen Requisiten auf der Bühne, werden auf den Boden geworfen als Metapher einer obligatorischen, vom Staat verordneten Trauer, die nur oberflächlich ist. Später trägt eine Schauspielerin diese Blumen wie ein Kind in ihren Armen, das getötet wurde.
„Trojanische Frauen“ wurde zu den Autorentheatertagen im Deutschen Theater eingeladen. Zum ersten Mal gibt es neben der deutschsprachigen neuen Dramatik mit „Radar Ost“ Inszenierungen aus Georgien, Polen und Litauen. Das Tifliser Royal District Theatre zeigte außerdem „Prometheus. 25 Jahre Unabhängigkeit“. Alle, die auf der Bühne sind, sind so alt wie das Land, in dem sie leben. Sie sitzen um einen Tisch und werfen sich Befehle zu. Befehle, die entweder mit „Erinnere dich“ oder „Vergiss“ beginnen und so die eindimensionale offizielle Geschichtsschreibung in Georgien demaskieren. Neben den präzisen Sprechvorgang tritt hier mehr und mehr eine genau gesetzte Bewegungschoreografie, in der zentral das Ankleiden von Schauspielern ist, die Menschen darstellen, die allein, auf sich gestellt zu nichts imstande sind. Das ist die sehr greifbare Metapher, die Data Tavadze für den Zustand Georgiens nach 1991 gefunden hat.
„Cuthlus Ruf“ vom Warschauer „Nowy Teatr“ wirkt dagegen wie eine Satire, in der mit bewusst gesetzten absurden Bezügen aus dem titelgebenden Roman des amerikanischen Schriftstellers H. P. Lovecraft Dynamiken in der polnischen Gesellschaft überzeichnet werden, um sie so in ihrer Absurdität kenntlich zu machen. Die Inszenierung hat etwas liebevoll Verspieltes. Und immer wieder reden alle über Sex. Als ob das in Polen das Normalste der Welt wäre. Zentral ist hier ein Gespräch zwischen einem Vater und seiner Teenager-Tochter. Michal Borczuch, 39, zählt zu den wichtigsten Regisseuren seiner Generation in Polen und wurde 2017 mit dem wichtigsten polnischen Theaterpreis „Paszport Polityki“ ausgezeichnet.
Bei „Ostwärts“, dem Stückeparcours von „Radar Ost“, wandert man von der Box in die Kammerspiele, von dort ins Reinhardtzimmer und dann ins obere Foyer. Überall sitzt man eine halbe Stunde. Man hört sich Ausschnitte neuer Dramatik an und gewinnt einen sehr spezifischen Eindruck von dem, was in Bulgarien, der Ukraine, in Bosnien, in Polen und Ungarn ins Theater kommen will und auf Gesellschaft und Geschichte reagiert.
Am meisten lacht man bei „Den Fremden“ von Csaba Szekely aus Ungarn. Christoph Franken, Thorsten Hierse, Jeremy Mockridge, Helmuth Mooshammer und Barbara Schnitzler verkörpern fünf Wüstentiere. Die kämpfen so lange um die Macht, bis vier eines unnatürlichen Todes sterben und Barbara Schnitzler als Vogel Strauß dann allein vor Hunger, aber im Besitz der ganzen Macht – nur über wen – ihr Leben aushaucht.
Die Parabel ist deutlich, die Botschaft unmissverständlich, und der Humor im Text schafft den Unterhaltungswert. Laila Kalamujic aus Sarajewo lässt uns teilhaben am Innenleben einer jungen Frau im heutigen Bosnien. Die möchte weg von den vorgefertigten ethnischen Identitäten. Maike Hirsch gibt dieser Figur eine verletzliche, fragende und trauernde Stimme.
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