: Von aufregenden, sonisch variablen Geräuschkunstwerken
Tony Buck improvisiert beim Trommeln. Der Australier lebt seit fast zwanzig Jahren in Berlin, spielt in vielen Formationen und hat eine schwer überschaubare Zahl von Alben veröffentlicht. Jetzt ist ein neues erschienen. Ein Besuch in Lichtenberg
Von Andreas Hartmann
Tony Buck empfängt im Wohnzimmer seiner Wohnung in Lichtenberg. Ein Piano steht mitten im Raum, ein Drum-Kit im Eck. Buck wohnt nicht nur hier, er nimmt in dem geräumigen Zimmer auch Musik auf und gelegentlich, so sagt er, finden sogar Hauskonzerte statt. Die Nachbarn störe es nicht weiter.
Eine seiner beiden Katzen schleicht umher. Freut sie sich darüber, dass sie den Musiker auch mal zu Gesicht bekommt? Buck ist in zahlreiche musikalische Projekte involviert, und mit einem davon steht eigentlich immer gerade ein Gig an.
Tony Buck ist hauptsächlich Drummer, spielt aber auch Gitarre, und auf seiner aktuellen Soloplatte mit dem Titel „Unearth“ kommen auch noch die Klänge einer Hammondorgel und diverser Synthesizer von ihm.
Nun muss man sich Buck aber sowieso nicht als jemanden vorstellen, der in klassischer Rockbanddrummer-Manier hinter der Schießbude hockt und Begleitmusikern den Takt vorgibt. Er ist Improvisationsmusiker, er entscheidet also spontan und im Moment, wie er agiert, für das Spiel in einer tighten Abgehband ist er damit eher nicht der Richtige.
Dabei kommt der in Australien geborene Mittfünfziger eigentlich vom Punkrock. The Birthday Party, die frühere Combo von Nick Cave, „ist die beste Band, die je aus Australien kam“, sagt er, und man merkt sofort, dass er immer noch Fan dieser so wilden und energetischen Postpunkformation aus seiner Heimat ist. Auch seine eigene Band, Peril, die er Anfang der Neunziger betrieb und mit der er drei Platten aufnahm, hat deutliche Bezüge zum sogenannten No Wave der frühen Achtziger, der damals dem Punk genauso nah war wie dem Free Jazz.
Zersplitterter Sound
Peril war eine australisch-japanische Noiserockband, die Buck nach seinem Umzug nach Japan 1991 zusammen mit Otomo Yoshihide gründete, einem sogenannten Turntable-Artist, der auf seinem Plattenspieler nicht nur Vinyl auflegte, sondern mit Papier scratchte und sowieso alles dafür tat, dass der Sound, den er kreierte, möglichst zersplittert klang. Auf alten YouTube-Aufnahmen sieht man den heute ergrauten Buck mit astreiner New-Wave-Mähne, wie er Yoshihides Krach mit seinem möglichst freien Spiel konterkarierte.
Mitte der Neunziger lebte er eine Zeit lang in Amsterdam, bevor er kurz vor dem Millennium nach Berlin zog. Dort tauchte er ein in die Szene rund um den kleinen Club Anorak in einem besetzten Haus in Prenzlauer Berg, wo sich das formierte, was man heute als Echtzeitmusik kennt, eine typisch Berliner Form freier Improvisationskunst, die in der ganzen Welt Erfolge feiert.
Seitdem nahm er zahlreiche Platten in immer neuen Konstellationen auf, mit dem Berliner Trompeter Axel Dörner oder dem Gitarristen Olaf Rupp, gründete eine Band mit Lee Ranaldo, dem ehemaligen Gitarristen der Band Sonic Youth, tritt auf mit Größen des freien und experimentellen Jazz wie Evan Parker und John Zorn, unterhält aber gleichzeitig auch eine Combo wie Kletka Red, die eher so etwas wie Klezmer-Punk spielt.
Immer wieder etwas anderes, ständig neue Projekte, andauernd frische Wege, Musik zu schaffen, das alles liege in der Natur eines Improvisationsmusikers, erklärt Buck. Eingefahrene Bandkonstellationen, etablierte Strukturen gelte es ja gerade zu vermeiden, um sich die Spontaneität zu bewahren. Und die schier endlos vielen unterschiedlichen Musikprojekte zu unterhalten, wie er das tut, sei möglich, weil beim freien Improvisieren das ewige Proben schlicht wegfalle und man sich eigentlich nur zu den Konzerten zusammenfinde und dann wieder auseinandergehe.
Über die Jahre hinweg hat Buck auch seine Ausdrucksmöglichkeiten als Schlagzeuger dramatisch erweitert. Genau wie seine Bandbreite an Einflüssen. Auf seiner Homepage findet sich ein kurzes Video mit dem Titel „Inspirations“, wo collagenhaft alles aufgezählt wird, was Buck ganz offensichtlich geprägt hat. Von Black Sabbath über Ornette Coleman bis hin zu Jackson Pollock und Samuel Beckett ist da praktisch jeder große Vertreter der Avantgarde des 20. Jahrhunderts dabei. Aus diesem Geist großer Suchender scheint Buck mehr denn je zu schöpfen.
Sieht man ihn heute hinter seinem Drum-Set stehen oder sitzen, haut er nicht auf die Trommelfelle, sondern er schabt mit den Drumsticks auf seinem Instrument herum, lässt es klackern und tackern und bearbeitet nebenbei diverse Glocken, Gongs und allerlei Perkussionsinstrumente. So wie John Cage einst sein Piano präparierte, so erweitert er heute sein Drum-Set. Auf „Unearth“, seiner aktuellen Soloplatte, klingt dann auch kein Stück nach lang gezogenem Schlagzeugsolo, sondern ist ein aufregendes, sonisch variables Geräuschkunstwerk.
Vom wichtigsten Projekt Bucks war bis zu dieser Stelle noch nicht einmal die Rede, von seiner Bass-Piano-Drums-Band The Necks, die zu zwei Dritteln in Australien beheimatet ist, wo sie eine Art Kultstatus genießt. Seit über 30 Jahren gibt es die Band inzwischen, 16 Platten hat sie veröffentlicht, und als Vorband für Nick Cave durfte sie auch schon auftreten. The Necks sind also der lange rote Faden, der sich durch Tony Bucks Musikerkarriere zieht. Die Band gab es immer, egal, ob er in Tokio, Amsterdam oder Berlin zu Hause war.
Jazz nahe am Ambient
Dabei wirkt der minimale, soft federnde Kammerjazz des Trios, der aber auch „Einflüsse von Dub und Minimal Music hat“, wie Buck ergänzt, wie die große Antipode zu dessen sonst so ausdrucksstarkem Drumming in den meisten seiner anderen Projekte. Es ist Jazz, nahe an Ambient, am Rande der Stille, feingliedrig und zart. Dass man es damit bis zur Vorband für Nick Cave schafft, ist eigentlich kaum zu glauben. „Dabei hatten wir nie besondere Ambitionen mit der Band“, sagt Buck völlig ungerührt. Der Erfolg sei einfach so gekommen.
Aber noch mehr Zeit mit The Necks verbringen oder gar zurück nach Australien ziehen, um auch eine räumliche Nähe zu den anderen The-Necks-Mitgliedern herzustellen, möchte er trotzdem nicht. Dann wären The Necks eine Band wie alle anderen auch, und am Ende würden sie vielleicht sogar noch gemeinsam im Proberaum landen. Das aber gelte es für einen Musiker wie ihn eben unbedingt zu vermeiden.
Tony Buck: „Unearth“ (Room 40)
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