Mohnblumen für die getöteten Palästinenser

Jewish Voice for Peace erinnert in Manhattan an die Menschen, die bei Protesten im Gaza­streifen ums Leben kamen. Die Gruppe will die jüdische Community in New York verän­dern

Stiller Protest auf Manhattans Asphalt Foto: Eduardo Munoz/reuters

Aus New York Dorothea Hahn

Das kleine Megafon geht von einer Person zur nächsten. Jede sagt den Namen eines toten Palästinensers in das Megafon und legt anschließend eine Mohnblume auf den Asphalt. Als sich nach wenigen Minuten ein roter Hügel aus 111 Mohnblumen häuft, verstummt die Menschenmenge zu einer Gedenkminute. Nur die Regentropfen, die auf Schirme klopfen, und das Hupen der Autos, die im dichten Feierabendverkehr über die 3. Avenue rollen, sind noch zu hören. „Wir werden euch nicht vergessen“, sagt eine junge Frau in das Megafon, als sie das Schweigen beendet.

Zwei Tage, nachdem israelische Scharfschützen mehr als 50 PalästinenserInnen an der Grenze zu Gaza getötet und Hunderte weitere verletzt haben, sind in New York ein paar Hundert jüdische US-AmerikanerInnen zusammen gekommen. Am Mittwochabend in der Rush Hour und im strömenden Regen gedenken sie der Opfer. Die meisten TeilnehmerInnen sind jung, sie haben sich in schwarz gekleidet und sie sind so konzentriert und in sich gekehrt, als handele es sich um eine private Zeremonie.

Aber die DemonstrantInnen wollen die politisch Verantwortlichen in Israel und in den USA benennen. Und sie wollen das Kräfteverhältnis im Inneren der jüdischen Community verändern. Die OrganisatorInnen von der Friedensgruppe Jewish Voice for Peace (JVP) haben die Kreuzung an der Ecke 48. Straße und 3. Avenue nicht zufällig ausgewählt. Dort befinden sich die Büros der beiden SenatorInnen, die den Bundesstaat New York in der US-Hauptstadt vertreten. Beide gehören zur Demokratischen Partei. Aber keineR der beiden kritisiert die israelische Gewalt in Gaza.

Die jüngere Senatorin, die Feministin und Menschenrechtlerin Kirsten Gillibrand, schweigt seit dem Beginn der neuen palästinensischen Proteste und israelischen Gewalt vor sechs Wochen hartnäckig. Der ältere Chuck Schumer, gegenwärtig der starke Mann der demokratischen Fraktion im US-Senat, geht noch weiter. „Ich wollte die Botschaftsverlegung schon vor zwei Jahrzehnten“, schrieb Schumer in einem Tweet, in dem er Donald Trump gratulierte.

„Unsere sogenannten Vertreter“, nennt eine Rednerin die beiden SenatorInnen. „Schäm dich, Schumer“, steht auf einem Transparent. Andere Transparente verlangen den sofortigen Stopp der US-Militärhilfe an Israel. „Auf welcher Seite steht ihr, Schumer und Gillibrand?“, singen die DemonstrantInnen zu der Melodie eines alten Protestliedes.

Schumer, der seit 1998 im Senat sitzt, ist einer der aggressivsten Verteidiger israelischer Politik, ganz egal, wer dort an der Regierung ist. Gillibrand ist ideologisch weniger festgelegt. Aber sie muss sich im November erneut den WählerInnen in New York stellen und sie vermeidet, wie Generationen von New Yorker PolitikerInnen vor ihr, im Vorfeld jede Israel-Kritik.

New York ist nach Tel Aviv die Stadt mit der zweitgrößten jüdischen Community der Welt. Und ihre traditionellen Organisationen stellen sich im Zweifel vor Israel. In den letzten Jahren allerdings sind Risse in der Einheit der Community aufgebrochen.

Israels Militär hat in der Nacht zum Donnerstag mehrere Luftangriffe auf den Gazastreifen geflogen. Ziel seien Einrichtungen der Hamas gewesen, teilten die Streitkräfte mit. Getroffen wurden demnach mehrere Gebäude, Infrastruktur in einem Hamas-Militärkomplex und ein Waffenwerk. Nach Angaben des örtlichen Gesundheitsministeriums wurde ein Mensch verletzt. Die Armee bezeichnete die Angriffe als Reaktion auf Maschinengewehrfeuer auf die Ortschaft Sderot an der Grenze zum Gazastreifen. (dpa)

Seit den Bombardements von Gaza im Jahr 2014 beobachtet die 75-jährige pensionierte New Yorker Politikprofessorin Rosalind Petchesky, dass immer mehr junge Leute auf Distanz zu den traditionellen Positionen der Community gehen. Allein in der Friedensgruppe JVP haben sich die Mitgliederzahlen im Jahr der Bombardements verdoppelt.

„Palästinenser sollten frei sein“, steht auf dem T-Shirt, mit dem Kenan Jaffe zu der Demonstration gekommen ist. Der 34-jährige Lateinlehrer glaubte lange, dass alles, was Israels Regierung tut, „gut für jüdische Leute ist“. Diese Überzeugung geriet erst ins Wanken, als er Palästinenser kennenlernte und die unterdrückerischen Seiten Israels entdeckte. Heute ist er in der Boykottbewegung aktiv und war auch daran beteiligt, Senatorin Gillibrand von ihrer Unterstützung für einen Gesetzesentwurf abzubringen, der Israel-Boykott unter Strafe stellt.

„Es fühlt sich gefährlich an, von der Pro-Israel-Position abzuweichen“, beschreibt es ein anderer Demonstrant. Jacob Friedman ist erst seit wenigen Jahren bei der Friedensbewegung. 2015 nahm er, wie Hunderttausende junge jüdische US-AmerikanerInnen, die Einladung zu einer kostenlosen „Birthright“-Reise an, um Israel kennenzulernen. Dort erfuhr der New Yorker, dass Israel für ihn „Zuhause“ sei, aber von den Rechten der PalästinenserInnen war keine Rede.

Wie groß der Druck bleibt, machen ein paar Gegendemon-strantInnen deutlich. Sie halten ein Transparent mit der Aufschrift hoch „Dank Gott haben wir Trump“. Und jedes Mal wenn die DemonstrantInnen eine Mohnblume für einEn der 111 seit März getöteten PalästinenserInnen auf den Asphalt legen, skandieren sie laut dagegen, „Israel ist die jüdische Heimat“.