: 3-D-Kino oder nicht 3-D-Kino? Das ist hier die Frage
Cannes Cannes 9. Das Festival biegt auf die Zielgerade ein mit neuen Filmen von Bi Gan, Lee Chang-dong und David Robert Mitchell
Unser Filmredakteur Tim Caspar Boehme berichtet täglich von den Internationalen Filmfestspielen in Cannes
Vom 3-D-Kino als der großen Zukunft des Leinwandbilds ist derzeit wenig zu vernehmen. Da ist es eine gute Idee, einen Film zu drehen, der ausdrücklich kein 3-D-Film ist, dessen zweite Hälfte gleichwohl von dieser Technik Gebrauch macht. Klingt verwirrend? Ist es auch. Der chinesische Regisseur Bi Gan hat sich für seinen zweiten Spielfilm „Long Day’s Journey Into Night“ in der Reihe „Un Certain Regard“ ein entsprechendes Szenario überlegt, in dem man nach einer Stunde mit der Hauptfigur im Kino – wenn auch in getrennten Sälen – sitzt und parallel die Brille aufsetzt für einen Bildwechsel der besonderen Art.
Ein Mann (Huang Jue) kehrt nach langer Zeit in seine Heimatstadt Kaili zurück und macht sich auf die Suche nach einer Frau (Wei Tang), die sich Wan Quiwen nannte, – vor Jahren war er dort mit ihr zusammen. In Rückblenden erinnert er sich an die gemeinsame Zeit in einem mysteriösen Haus, in dem Wasser durch die Decke leckte und den Boden flutete. Um Wan Quiwen zu finden, geht er verschiedenen Spuren nach, bis er schließlich nach der Hälfte der Spielzeit in ein Kino geht.
Das Tempo des Films ist sehr gemächlich, mit ruhigen Einstellungen und Kamerafahrten, die die Geduld beanspruchen können. Tapferkeit wird aber belohnt im zweiten Teil mit drei Dimensionen, in dem man mit der Hauptfigur auf einen Traum-Trip geht, der die Realität mit den Mitteln der Magie hinter sich lässt. Bi Gan drosselt noch einmal die Geschwindigkeit und lässt seinen Protagonisten in aller Gemütsruhe mit einem Geist Roller fahren, einen Sessellift bei Nacht wie einen Abstieg in die Hölle nehmen und schließlich mit Hilfe eines Tischtennisschlägers in Zeitlupentempo fliegen. Das ist weniger albern, als es klingt, sondern folgt seinen eigenen Gesetzen der Magie. Man braucht sich bloß verzaubern lassen.
Auch vom Koreaner Lee Chang-dong bekommt man im Wettbewerbsfilm „Burning“ eine fremdartige Realität präsentiert. Dessen Handlung basiert auf der Kurzgeschichte „Scheunenabbrennen“ von Haruki Murakami, Lee Chang-dong lässt in seiner Bearbeitung die verarmte Mittelschicht Südkoreas und dubiose Reiche in einer Zufallsbegegnung aufeinanderprallen: Hier der Hochschulabsolvent Jongsu (Ah-in Yoo), der keinen Job findet, literarische Ambitionen hat und vorübergehend den Bauernhof des Vaters übernehmen muss, weil dieser im Knast sitzt. Dort der porschefahrende Ben (Steven Yeun), der sich über seinen Broterwerb ausschweigt und in einer perfekt designten Luxuswohnung seine Kochkünste zelebriert. Jongsu hingegen haust ebenso wie seine Freundin Haemi (Jong-seo Jun) in schmucklosen, mit Krempel zugemüllten Räumen.
Aus dieser Konstellation entwickelt Lee Chang-dong einen Thriller, der beständig die Richtung zu wechseln scheint und immer neue Verweisebenen einführt. Irgendwann ist komplett unklar, ob man es mit Jongsus Erlebnissen zu tun hat oder bloß mit seinen schriftstellerischen Fantasien. So oder so wird man von Lee Chang-dong mit stets unerwarteten Wendungen auf falsche Fährten geführt. Und das sehr gern.
Anders als beim Wettbewerbskonkurrenten David Robert Mitchell, der in „Under the Silver Lake“ zwar ein Nerdparadies aus popkulturellen Referenzen mitsamt großer Verschwörungsfantasie erstehen lässt, sich jedoch in dieser grotesken Noir-Komödie so eifrig in Richtung David Lynch verneigt, dass er darüber vergisst, dass auch ein durch und durch paranoider Plot etwas mehr als bloße Selbstbezüglichkeit nötig hat. Selbst wenn Hauptdarsteller Andrew Garfield recht überzeugend besessen dreinblickt. Tim Caspar Boehme
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